Ginsburg gestorben

Der sowjetische Dissident überstand ungebeugt Straflager und kämpfte bis zuletzt für Menschenrechte

BERLIN taz ■ Er verkörperte die glorreichen Zeiten der sowjetischen Dissidentenbewegung, als Hausfrauen sich auf rostigen Schreibmaschinen die Finger wund hauten, um möglichst viele Samisdat-Kopien auf einmal anzufertigen, und eine Handvoll Männer und Frauen auf dem Roten Platz 1968 gegen den Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei mit der unvergesslichen Losung demonstrierten: „Für eure und unsere Freiheit“. Gestern ist Alexander Ginsburg im Alter von 65 Jahren in Paris gestorben.

Es ist wohl nur sein unverwüstlicher Humor gewesen, der ihn immerhin so alt werden ließ, nachdem er dreimal jahrelang in sowjetischen Straflagern eingesessen hatte. 1960 wurde Ginsburg, noch als Geschichtsstudent, für die Gründung der Untergrundzeitschrift Syntaxis zu zwei Jahren verurteilt, 1967 wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ zu sieben Jahren. In der Zeit dazwischen war Ginsburg auf die Idee gekommen, so zu tun, als nähme er die auf dem Papier äußerst liberalen sowjetischen Gesetze für bare Münze. Nach der Verhaftung der Schriftsteller Andrej Sinjawski und Juli Daniel hatte er ein so genanntes Weißbuch über deren Fall herausgegeben und allen Deputierten des Obersten Sowjets überreicht. Das riss ihn zum zweiten Mal rein.

Doch inzwischen war die sowjetische Dissidentenbewegung erstarkt und erfrecht. Seine zweite Verhaftung diente als Anstoß zur Gründung der berühmten Samisdat-Zeitschrift Chronik der laufenden Ereignisse.

Kaum wieder in Freiheit, wurde Ginzburg 1972 Inlandsdirektor des von Alexander Solschenizyn vom Ausland aus gegründeten „Fonds zur Hilfe für politische Gefangene“, 1977 Mitbegründer des sowjetischen Helsinki-Komitees. Damit handelte er sich eine weitere Verurteilung ein, diesmal zu zehn Jahren. Dank des Wutgeheuls der Weltpresse wurde er aber 1979 im Austausch gegen ein halbes Schock Spione in den Westen entlassen.

Ginzburg ließ sich letztlich mit seiner Familie in Paris nieder, wo er jahrelang führend an der renommierten Zeitschrift Russkaja Mysl (Der russische Gedanke) mitarbeitete. Auch nach dem Einsturz des von ihm unterwühlten politischen Systems führte er den noch immer bitter notwendigen Kampf für die Menschenrechte in seiner Heimat weiter. BARBARA KERNECK