Genua ist nicht vergessen

Gedenkdemonstrationen zum Jahrestag des Todes von Carlo Giuliani beim G-8-Gipfel. 30.000 Teilnehmer erwartet. Cohn-Bendit wirft Globalisierungskritikern nationale Orientierung vor

ROM taz ■ Ein Jahr nach dem G-8-Gipfel von Genua wird jetzt in der Mittelmeerstadt an die bis heute nicht vollständig geklärten Ereignisse des 20. Juli 2001 erinnert. Damals war der 23-jährige Carlo Giuliani von Karabinieri angeschossen und überfahren worden. Auf mehreren Demonstrationen werden heute bis zu 30.000 Menschen erwartet. Vordergründig ist alles wie gehabt. Die Sicherheitskräfte rüsten auf. Etwa 5.000 Polizisten sind in der Stadt zusammengezogen, um „Ausschreitungen“ von Seiten der Demonstranten vorzubeugen.

Und doch herrscht in Genua ein anderes Klima als im vergangenen Jahr. Polizeipräsident Oscar Fioriolli forderte die Bürger auf, in Genua zu bleiben und an den Veranstaltungen teilzunehmen. Voriges Jahr waren die Bewohner vor allem in der weiträumig gesperrten „Roten Zone“ aus der Stadt geekelt worden.

Die Demonstrationen dürften zugleich zum Symbol für Spaltungen und Neugruppierungen der italienischen No-Global-Front werden. Die Katholiken des Liliput-Netzes sind nicht mehr dabei, dafür stößt mit der CGIL der vor einem Jahr abwesende größte italienische Gewerkschaftsbund dazu.

Bereits am Donnerstagabend besetzten etwa 50 Personen aus dem Umkreis der „Ungehorsamen“ symbolisch die vor einem Jahr von der Polizei gestürmte Scuola Diaz. Wieder soll das Schulgebäude als Ort der Diskussion und als Schlafstätte der Protestierer dienen. Ironisch mahnt ein Transparent am Eingang die Polizei: „Diesmal bitte anklopfen!“ Doch mit Polizeibesuch ist nicht zu rechnen. Wenn überhaupt, werden Zusammenstöße nur am Rande einer zweiten Demonstration des heutigen Nachmittags erwartet. Einige „antagonistische“ Autonome Zentren Italiens haben zum Marsch auf das Stadtgefängnis Marassi aufgerufen. Dort wurden im vergangenen Juli zahlreiche G-8-Gegner eingesperrt.

Daniel Cohn-Bendit, der für die Grünen Frankreichs im Europaparlament sitzt, wirft in einem taz-Interview Teilen der Globalisierungskritiker vor, „zu stark national orientiert“ zu sein. Viele hielten die EU lediglich für ein „Instrument des Neoliberalismus“. Den Organisatoren von Attac hält er vor, sie würden sich mit ihrer Ausrichtung auf Gesundheitspolitik „überheben“. Wer über Gesundheitspolitik rede, „muss etwas zur Finanzierung sagen. Und warum nur Gesundheits-, warum nicht auch Rentenpolitik? In letzter Konsequenz wird sich Attac so von einer erfolgreichen Single-Issue-Bewegung in eine erfolglose Art Partei verwandeln.“

MICHAEL BRAUN

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