„Ich geh ohne Taschenrechner“

Der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir erklärt, warum er einen Kredit des PR-Managers Moritz Hunzinger brauchte: „Brutto für netto“ habe er als Abgeordneter seine Einkünfte verbucht. „Nennen Sie mich naiv“, sagt der medienerfahrene Politiker

Interview PATRIK SCHWARZ

taz: Ein Grüner leiht sich Geld von einem Rüstungslobbyisten. Ist das ein Witz?

Cem Özdemir: Das ist kein Witz, und 1999 ist es nicht über einen Rüstungslobbyisten gelaufen. Hunzinger stand damals nicht in dem Zusammenhang, und der Kontakt lief auch nicht über Hunzinger selbst, sondern über einen seiner Mitarbeiter, den ich kannte und der dieselbe Herkunft hat wie ich.

Türkische?

Türkisch-griechische Herkunft. Die Konsequenz, die ich ziehe, ist, dass ich in Anbetracht der Diskussion den ausstehenden Betrag vollständig ablöse – mit Zinsen. Sollte es aus dem Privatdarlehen mit einem Zins von 5,5 Prozent einen Zinsvorteil gegeben haben, werde ich den Differenzbetrag spenden – natürlich nicht an Herrn Hunzinger, sondern an das Rehabilitationszentrum für Folteropfer in Berlin. Fazit: Das war der teuerste Kredit meines Lebens.

Man merkt an der schnellen Antwort, dass Sie die schon ein paarmal gegeben haben. Noch mal zurück ins Jahr 1999: Warum haben Sie sich nicht schlauer gemacht, für wen der PR-Berater Hunzinger PR macht?

Dass der Name Hunzinger in dem Kontext steht, in dem er heute steht, war damals nicht abzusehen. Ich hatte mit Hunzinger auch nie viel zu tun und habe mich ein bisschen erkundigt bei Freunden und Kollegen. Niemand hat was daran beanstandet, dass ich ein privates Darlehen aufnehme, wenn’s schnell gehen muss und unbürokratisch sein soll.

Sie sind Politiker und Meister der Selbstdarstellung – aber wussten nicht, was PR ist?

Nennen Sie mich naiv.

Was war Hunzingers Motiv?

Da müssen Sie ihn fragen. Klar ist aber, es war ein Darlehen, sonst nichts. Ich habe im Gegensatz zu anderen nicht das Problem, dass ich nicht weiß, wo ich meine Bücher publizieren soll: Das erste ist im dtv-Verlag erschienen, das zweite bei Lübbe und das dritte bei dem baden-württembergischen Belchen-Verlag. Auch einkaufen kann ich selber – und wenn ich mal Beratungsbedarf beim Einkaufen habe, dann habe ich dafür meine Freundin. Für Medienkontakte brauche ich bislang auch keine Berater. Mein Verhalten mag auf Naivität zurückgehen, falsch ist es trotzdem. Sollte es tatsächlich einen Vorteil gegeben haben, spende ich ihn wie gesagt an das Rehabilitationszentrum.

Man merkt wirklich, Sie haben es oft schon gesagt …

… ja, das geht schon seit Stunden so.

Wie viele Interviews haben Sie heute gegeben?

Ich habe sie nicht gezählt. Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens, insofern muss ich mir das gefallen lassen. Aber meine Eltern können nichts dafür, und es ist unanständig, wenn Journalisten jetzt meine Eltern anrufen, obwohl sie eine Geheimnummer haben. Meine Mutter hat eine Änderungsschneiderei und ist 70 Jahre. Da werden Schamgrenzen überschritten.

Sie greifen schon wieder an, obwohl Sie ein Angegriffener sind.

Nein, ich habe alles aufgedeckt, was es aufzudecken gibt. Ich habe nicht mein Handy abgeschaltet oder war erst mal tagelang nicht erreichbar. Ich beantworte alle Fragen ausführlich, im Fernsehen, im Radio, in Zeitungen. Ich schiebe auch nicht die Verantwortung ab, dass ich falsch beraten worden sei. Nur meine Eltern können nix dafür.

Herr Hunzinger ist ein gut angezogener Aufsteiger mit feinem Gespür für Machtpositionen. In der Koalition hatte er Verbindungen zu Ihnen und zum SPD-Aufsteiger Bury, dem späteren Staatsminister im Kanzleramt. Hat er vor allem seine Ebenbilder gefördert?

Ich hatte so gut wie keine Verbindung zu Herrn Hunzinger. Ich habe zweimal an Veranstaltungen teilgenommen und das Honorar der Partei gespendet. Ansonsten habe ich Herrn Hunzinger zwei-, dreimal auf öffentlichen Empfängen gesehen. Ich saß nicht in irgendwelchen Aufsichtsräten …

wie Herr Bury.

Ich will mich jetzt nicht an Spekulationen beteiligen. Ich hatte so gut wie keine Verbindung zu Herrn Hunzinger, sondern ein Darlehen bekommen. Das war ein Fehler.

Wie viel haben Sie gegenüber einem Bankdarlehen gespart?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, das weiß ich nicht, dazu müsste ich ja Zinsvergleiche anstellen.

Aber Sie sind doch Schwabe.

Ich bin nicht jemand, der mit dem Taschenrechner durch die Welt geht. Wenn ich als Schwabe sparsam gewesen wäre, hätte ich Rücklagen gebildet. Ich bin sparsam meiner Person gegenüber, nicht gegenüber anderen.

Was soll das heißen?

Nachdem ich im Bundestag anfing, habe ich mein Geld netto für brutto genommen. Was reinkam, habe ich ausgegeben – und das mit der Umverteilung sehr wörtlich genommen. Von humanitären Organisationen bis zu Vereinen habe ich geholfen – was keine Entschuldigung ist.

Sie wussten als Abgeordneter nicht, was Ihres war und was nicht?

Ich will die Verantwortung wirklich nicht abwälzen, aber ich war rund um die Uhr in Sachen Politik unterwegs. Eine Kollegin hat mir gerade erzählt, dass sie jahrelang ihre Bahncard bezahlt hat, um dann festzustellen, dass man als Abgeordnete frei fährt.