Arbeiterwahlkampf

Vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich füllt eine trotzkistische Kandidatin die Säle. Premier Jospin fürchtet eine linksradikale Protestwahl

aus Paris DOROTHEA HAHN

Gemeinsam könnten sie die Stärksten sein: Rein rechnerisch dürfen die KandidatInnen von der französischen Linken rund 25 Prozent der Stimmen erwarten. Damit könnten sie möglicherweise den sozialdemokratischen Premierminister im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen überflügeln. Doch der hohe Prozentsatz trügt. Denn die Stimmen werden sich auf fünf KandidatInnen verteilen, die einzeln antreten und scharf gegeneinander kämpfen: Drei TrotzkistInnen, ein Kommunist und ein Grüner.

Die Stärkste in der Wählergunst ist Arlette Laguiller. Die 62-jährige Trotzkistin tritt diesen Präsidentschaftswahlkampf – es ist ihr fünfter – wieder für die „Lutte Ouvrière“ (LO, Arbeiterkampf) an. Das ist der Name ihres Parteiblattes. Die dahinterstehende Organisation nennt sich „Union Communiste“. Sie geht auf die schon 1939 gegründete trotzkistische UCI zurück und gebärdet sich so klandestin, dass selbst viele ihrer Mitglieder nicht die bürgerlichen Namen ihrer GenossInnen kennen. Die LO, deren Präsidentschaftskandidatin die mangelnde „Demokratie“ und „Transparenz“ der anderen geißelt, begründet das mit dem Zwang, die Genossen „vor der Repression der Patrons zu schützen“.

Laguiller predigt die Revolution. Wahlen sind für sie „Zählappelle für das Proletariat“. Gegenwärtig spricht sie wieder vor prall gefüllten Sälen. Verlangt das Verbot von Entlassungen in Unternehmen, die Profit machen; die Offenlegung der Bankkonten von AktionärInnen und die Verstaatlichung zugrunde gewirtschafteter Betriebe. Am Ende ballt sie ihre rechte Faust und singt die Internationale.

Dafür laufen ihr die WählerInnen in Scharen zu. Laguiller bündelt die Stimmen all jener, die der rot-rosa-grünen Regierung ein „Merde“ – Scheiße – sagen wollen. In seltener Einmütigkeit prognostizieren die Meinungsforschungsinstitute Laguiller zehn Prozent der Stimmen im ersten Wahldurchgang am 21. April. Das ist fast doppelt so viel wie bei den letzten Präsidentschaftswahlen.

Lange galt es bei den anderen Linken als ausgemachte Sache, dass Laguiller vor allem enttäuschte kommunistische WählerInnen anzieht. Sie überließen es dem kommunistischen Präsidentschaftskandidaten Robert Hue (laut Prognosen bekommt er 5 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang), ihren Wahlkampf als „steril“ und „monoton“ zu bezeichnen und vor ihrem proletarischen Populismus zu warnen.

Doch seit sich zeigt, dass die Revolutionärin aus der Zwei-Zimmer-Sozialwohnung in der östlichen Pariser Vorstadt Les Lilas auch unter AnhängerInnen von Grünen und PS Zuspruch findet, wird der Chor der Laguiller-Kritiker lauter. Premierminister Lionel Jospin (laut Prognosen 21 Prozent im ersten Wahlgang), den eine starke linksradikale Protestwahl den Einzug ins Präsidentenamt kosten könnte, warnt jetzt davor, Laguiller als „Supergewerkschafterin“ zu interpretieren. Und die Gebrüder Daniel und Gabriel Cohn-Bendit, die den grünen Präsidentschaftskandidaten Noël Mamère (5 Prozent) unterstützen, mahnten diese Woche in der Zeitung Libération: „Arlette ist keine Heilige“.

Was Laguiller und ihre Organisation zwischen den Wahlkämpfen treiben, ist ein Rätsel. In den Betrieben treten sie kaum in Erscheinung. In den sozialen Bewegungen der letzten Jahre – von den Papierlosen bis hin zu den GlobalisierungskritikerInnen – glänzen sie durch Abwesenheit. Im Europaparlament stimmte Arlette Laguiller deswegen gegen die Einführung der Tobin-Steuer, weil die Trotzkistin „nicht an der Reform, sondern der Überwindung des Kapitalismus interessiert“ ist.

KollegInnen allerdings, die Laguiller in der Zeit erlebt haben, als sie Gewerkschaftsarbeit für die FO in den Banken machte, erinnern sich an durch und durch reformistische Abkommen, die die ultimative Revolutionärin damals unterzeichnete.