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: Ansichten vom XXI. Weltkongress der Architekten

Die Brillen der Planer

Am Wochenende habe ich in der U 6 eine Menge schwarz gekleideter Menschen getroffen, die offensichtlich nicht auf dem Weg zu einer Trauerfeier waren. Es handelte sich um eine Gruppe von Architekten – unterwegs vom Flughafen Tegel in die Stadt –, die an ihrer standesgemäß Zorro-Kluft sich zu erkennen geben: schwarzer Anzug, weißes bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd, keine Krawatte, schwarze Schuhe und schwarzer Mantel. Sind Brillenträger unter ihnen, und es waren Brillenträger dabei, hat man das Gefühl, sie kaufen die Modelle alle im gleichen Laden, der nur ein Gestell führt: das Le-Corbusier-Philip-Johnson-Modell mit dickem runden Rand wie Autoreifen. Trotzdem waren alle happy, was wohl damit zu tun hat, dass sie an einem Kongress teilnehmen, wo man alte Freunde und neue Freunde trifft, Lord Norman Foster und Ken Yeang die Hand schütteln kann und endlich weit weg von den eigenen Baustellen ist. Denn die machen nur unglücklich.

Neulich erzählte mir ein Architekt, der jetzt 89 Jahre alt ist, er müsse und wolle immer noch bauen, um seine Schulden abzuzahlen. Dass ursächlich die Schulden damit zu tun haben, dass er immer noch baut und er sich wegen seines Alters immer öfter verrechnet hat, was zum Chaos auf Baustellen geführt hat, Pläne falsch waren und der Bauherr an den Rand des Ruins getrieben wurde, hat er natürlich nicht eingesehen. Schuld an der ganzen Misere waren – wenn nicht seine Frau – immer die anderen, hauptsächlich die Rechtsanwälte und gerichtlichen Gutachter, die er jetzt am meisten hasst und darum von Mafiamethoden träumt, wo Auftragskiller ihre Opfer in Beton für Eisenbahnbrücken in Kalabrien verschwinden lassen oder nachts einfach im Wald abknallen.

Dass dies kein Einzelfall ist, sondern der gesamte Berufsstand der Architekten, Städteplaner und -bauer derartige Fantasien hat, ist seit dem letzten Kongress „Initiative Baukultur“, den die Bundesregierung im Frühjahr in Köln veranstaltete, sozusagen herrschende Meinung. Denn der Bauminister Kurt Bodewig, die Präsidenten der Architektenverbände, die vielen Chefs großer Büros und alle in der Halle gegenüber der „Harald-Schmidt-Show-Halle“ Versammelten waren sich einig, als ein Hochhaus-Architekt ausrief: „Die Juristen sind der Tod für die Baustellen und für uns Architekten.“ Manche Büros, wurde während der Kongresspausen kolportiert, gehen schon so weit, statt junger Praktikantinnen sowie Planer und Ingenieure, Volljuristen, Notare oder ehemalige Staatsanwälte und Richter ins Team einzustellen, um gegen alles und jeden gewappnet zu sein. Man könnte dann sein Büro „Architektur-Kanzlei“ nennen. Und ernsthaft überlegt werde auch, ob neben Baurecht Hochschulabsolventen außer Architektur noch Jura als Zweitstudium nachweisen müssen, bevor sie von der Kammer den Titel „Freier Architekt“ verliehen kriegen.

Wenn so viele – in einem ähnlichen Sinn „furchtbare Juristen“ – einem Tag für Tag als Architekt das Leben zur Hölle machen, nimmt es nicht Wunder, endlich einmal wieder ganz unter seinesgleichen zu sein, sich mit 5.000, 6.000 oder noch mehr Architekten – und nur Architekten – zu treffen, über schöne Häuser und Visionen zu reden – und endlich frei zu sein. Darum waren die schwarz gekleideten Männer in der U-Bahn so entspannt, locker und gelöst. Im Mittelpunkt jeder Planung steht der Mensch, nicht der Jurist, ging mir durch den Kopf. Dann fiel mir ein, dass die Eröffnungsrede für den Weltkongress der Architektur der Rechtsanwalt Gerhard Schröder hält. Aber da waren die Architekten schon ausgestiegen und auf dem Weg ins ICC.

ROLF LAUTENSCHLÄGER