Ein Geschmäckle bleibt haften

Die Grünen üben sich in Schadensbegrenzung. Cem Özdemir habe einen Fehler gemacht – „und fertig“. Fraktionsspitze war über den Kredit unterrichtet

von LUKAS WALLRAFF

Die Rückkehr aus dem Urlaub hatte sich Fritz Kuhn anders vorgestellt. Frisch erholt wollte der Bundesvorsitzende der Grünen gestern in den Wahlkampf einsteigen – und den Leuten erklären, warum sie am 22. September bitte wieder Grün wählen sollen. „Es kommt darauf an, zwischen den Alternativen zu entscheiden“, sagte Kuhn zu Beginn seiner ersten Pressekonferenz nach zwei Wochen Ferienpause – und lästerte erst einmal über die „nicht finanzierbaren“ Wahlprogramme der Opposition. Doch natürlich wusste Kuhn da längst selbst: Für die politischen Unterschiede zwischen Rot-Grün und der Union oder der FDP interessierte sich gestern niemand.

„Wir haben auch über Cem Özdemir diskutiert“, räumte Kuhn deshalb ein, um den Fragen der Journalisten gleich zuvorzukommen. Am Wochenende war herausgekommen, dass der innenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion 1999 in höchster finanzieller Not einen Kredit über 80.000 Mark aufgenommen hatte – ausgerechnet von Moritz Hunzinger, dem dubiosen PR-Berater, Lobbyisten und Schatzmeister der CDU-Sozialausschüsse. Ausgerechnet von Hunzinger, der gerade erst zum letzten politischen Sargnagel für Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) geworden ist. Dass sich einer der Ihren auf einen Deal mit Hunzinger eingelassen hat, ist mehr als peinlich für eine Partei, die immer darauf Wert legte, eine Alternative zu den Altparteien zu sein. Eine saubere Alternative wohlgemerkt, die mit Lobbyismus und Vetternwirtschaft nichts am Hut hat. Özdemirs offenherziges Geständnis in der taz („Nennen Sie mich naiv“) hat die Grünen in eine äußerst unangenehme Lage gebracht. Denn wie sollen sie auf die Spendenskandale der Volksparteien SPD und CDU eindreschen, wenn einer ihrer Promis selbst in den Ruch der Vorteilsnahme und der Abhängigkeit von Lobbyinteressen gerät?

Kuhn sagte es gestern selbst: Die Özdemir-Hunzinger-Connection hat ein „Geschmäckle“. Da kann man noch so oft betonen, dass sich der schwäbische Parteifreund „innerhalb der Grenzen des Rechts“ bewegt habe, das „Geschmäckle“ bleibt. Kuhn versuchte nicht, seinen Ärger zu unterdrücken.

„Nicht erfreut“ seien er und seine Kollegen im grünen Bundesvorstand gewesen, sagte der Parteichef, Özdemir habe eine „politische Eselei“ begangen. Aber, da ist sich Kuhn ganz sicher: „Wer glaubt, daraus eine Kampagne gegen die Grünen starten zu können, der irrt.“

Die Strategie der grünen Führungsmannschaft ist einfach. Der anrüchige Kredit wird als persönlicher Fehler Özdemirs kleingeredet, den dieser eingesehen und „bereut“ habe. Mit dem Spitzenkandidaten Joschka Fischer sei er selbstverständlich in Kontakt, sagte Kuhn, es habe „ausführliche Telefonate“ gegeben. „Herr Fischer teilt meine Meinung: Das war ein Fehler von Herrn Özdemir – und fertig.“

Ganz so einfach wird sich der Fall allerdings nicht abhaken lassen. Es wird nicht reichen, dass man „für die Zukunft jüngeren Abgeordneten die Regeln der politischen Logik darstellen“ will, wie Kuhn versicherte. Es wird auch nicht reichen, dass man den bisherigen Hoffnungsträger und prominenten Innenpolitiker Özdemir als naiven Anfänger hinstellt, der nicht mal wusste, wie viel Steuern er zahlen musste – was eigentlich verheerend genug ist. Denn auch die Fraktionsführung der Grünen muss sich peinliche Fragen stellen lassen. Özdemir, das wurde gestern klar, hatte die Fraktionsspitze schon vor langer Zeit über seinen Kredit bei Hunzinger informiert.

„Nach meinen Informationen hat es wohl einen Rat gegeben, schnell zurückzuzahlen“, sagte Kuhn gestern lapidar. Alles Weitere müsse man die beiden Fraktionschefs fragen. Die reagierten unterschiedlich: Während Rezzo Schlauch keine Stellungnahme abgeben wollte, ließ Kerstin Müller erklären, sie sei „bis Ende letzter Woche nicht informiert“ gewesen. Hätte sie vorher von Özdemirs Leihgeschäft erfahren, so Müllers Sprecherin zur taz, „hätte sie es nicht gebilligt“. Sollte ihre Auskunft stimmen, dann war es also Schlauch, der einen guten Rat erteilte – und sich dann nicht mehr darum kümmerte, ob Özdemir ihn befolgte. Konsequenzen halten die Grünen nicht für nötig. Nur eine fiel Kuhn gestern ein: „Wir werden Signale für die Zukunft senden, dass so was nicht mehr geschieht.“