Reich in Berlin

Heute wird der erste Berliner Armutsbericht veröffentlicht. Wirklich reiche Leute muss man in der Stadt suchen. Eine Topografie

von STEFAN ALBERTI
und SUSANNE VANGEROW

Jeder 20. Berliner ist reich, jeder 8. hingegen arm. Nachzulesen ist das im ersten Armutsbericht des Landes, den die Senatsverwaltung für Soziales heute vorlegt. Reichster Stadtteil ist der frühere Bezirk Zehlendorf, wo mehr als jeder fünfte Haushalt in diese Kategorie fällt. Doch auch den Reichen geht es offenbar nicht mehr so gut wie in früheren Jahren – was sich an einem Statussymbol ablesen lässt: 3.700 Porsches waren im Jahr 1995 in Berlin angemeldet, derzeit sind es knapp über 3.200. In Hamburg hingegen, wo die Zahl der Nobelschlitten fortwährend wuchs, sind es bei halb so vielen Einwohnern über 300 mehr.

Reich ist nach Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wer über mehr als das Doppelte des durchschnittlichen nationalen Nettoeinkommens verfügt. Als arm gilt, wer unter 50 Prozent dieses Wertes liegt. Dass Zehlendorf die Reichtumsrangliste anführt, ist wenig überraschend. Dort gab es bereits 1995 die meisten Großverdiener: Auf rund 640 Einwohner kam damals ein Einkommensmillionär. In Lichtenberg/Hohenschönhausen hingegen war die Quote rund 1 zu 24.300.

Ingesamt wohnten Mitte der 90er im Westen 884 Einkommensmillionäre, im Osten 55. In den Westbezirken gab es zudem 7.054 Vermögensmillionäre; für den Osten liegt keine Angabe vor. In Hamburg war die Millionärsdichte doppelt so groß.

Aktuelle Zahlen will das Statistische Landesamt bis Jahresende vorlegen. Lotto-Millionentreffer, die sich auch in sozial schwachen Gebieten ballen könnten, haben wegen ihrer vergleichsweise geringen Zahl kaum Bedeutung für die Statistik: 2001 gab es bei der Deutschen Klassenlotterie in Berlin elf Millionengewinne, in diesem Jahr – auf Mark umgerechnet – bislang fünf.

Anders als im Westen, wo 1995 den 152 Zehlendorfer Millionären nur 12 in Kreuzberg gegenüberstanden, ist der Osten bei der Verteilung des Reichtums deutlich homogener. Dort hat der frühere Bezirk Mitte den höchsten Anteil an Reichen, liegt aber mit 4 Prozent nur wenig über dem Ostschnitt von 2,5 Prozent. Zehlendorf dagegen hat mit 21 Prozent mehr als dreimal so viel Reiche wie der durchschnittliche Westbezirk mit 6,3 Prozent.

Geld allein mag zwar nicht glücklich machen, hat aber statistisch eine ganze Reihe von Vorteilen. Im Spitzenbezirk Zehlendorf etwa werden Männer im Schnitt etwa 76 Jahre alt und damit über zwei Jahre älter als der Durchschnittsberliner und fünf Jahre älter als Männer im Problembezirk Kreuzberg. Reich sein macht offenbar auch schlank beziehungsweise umgekehrt: Nur 8,5 Prozent der Oberschichtkinder sind übergewichtig, bei Kindern aus unteren sozialen Schichten sind es 15 Prozent.

Unter den Westbezirken hat Zehlendorf zudem zumindest formal das höchste Bildungsniveau. Dort wohnen, prozentual betrachtet, dreimal so viele Berliner mit zumindest Fachhochschulabschluss wie im sozial schwachen Bezirk Neukölln. Vor Zehlendorf liegt beim Bildungsniveau allein Mitte. Als Reicher wohnt es sich in Zehlendorf auch am wenigsten beengt in Berlin: Nur 14 Einwohner pro Hektar gibt die Statistik her, anders als in Kreuzberg mit 150.

Als Bezirk der meisten Reichen ist Zehlendorf auch eineHochburg der von ihrem früheren Generalsekretär so bezeichneten „Partei der Besserverdienenden“. Bei den Wahlen 2001 schnitt die FDP hier mit fast 20 Prozent doppelt so gut ab wie berlinweit. Vom Multikulti ärmerer Stadtteile wie Neuköllns oder Kreuzbergs sind die reicheren westlichen Außenbezirke Berlins hingegen weit entfernt. Der Ausländeranteil übersteigt hier kaum die 10-Prozent-Marke.