vorlauf
: Verschwendete Erinnerungen

„Verbrechen gegen die Menschheit“ (22.00 Uhr, WDR)

Der Anschlag vom 11. September jährt sich bald zum ersten Mal, und in Sachen Erinnerung legt der WDR mit „Verbrechen gegen die Menschheit“ einen Frühstart hin: Der Film von David Wittenberg dürfte damit nicht nur einer der frühesten Beiträge sein, die zur Erinnerung an den Jahrestag ausgestrahlt werden. Er hat auch gute Aussichten, als einer der wirrsten und überflüssigsten seiner Art in Erinnerung zu bleiben.

Über stolze neunzig Minuten schafft es Wittenberg nicht nur, absolut nichts Neues zum Thema beizutragen. Er tut das auch noch mit einem Aufwand, der an der ökonomischen Vernunft des WDR zweifeln lässt. New York, Paris, Frankfurt am Main und Venedig sind die Stationen einer Reise, auf der Wittenberg nach Antworten zu den Ursachen und Folgen des 11. Septembers forscht. Fündig ist er nicht geworden, weswegen sein Beitrag vor allem ein Dokument des selbstverliebten Räsonierens bleibt. Kernfragen – etwa die Konsequenzen des globalisierten Terrorismus für ein neues Völkerrecht – umkreist Wittenberg weiträumig. Statt dessen reiht er willkürlich Nachrichtenbilder auf, von den weltweiten Demonstrationen auf dem Höhepunkt der Rushdie-Affäre 1989, vom Prozess gegen Milošević und von der Überführung der Särge jener deutschen Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan ihr Leben verloren. Dazwischen: Aufräumarbeiten am Ground Zero. Spuren des Zweiten Weltkriegs am Strand der Normandie. Szenen eines New-York-Solidaritätskonzerts in Venedig. Und alte Archivbilder vom Algerienkrieg. Das wirkt so zusammenhanglos, wie es klingt, und will doch halb historische Reisereportage, halb politischer TV-Essay sein.

Darum ertönen langatmige Off-Kommentare, und der Autor rückt sich gerne selbst ins Bild, wie er im Gespräch seine Fragen so umständlich und konzeptlos formuliert, dass selbst kluge Antworten wie Allgemeinplätze wirken. Warum sich Wittenberg dafür nun gerade Gesprächspartner wie den Friedensforscher Bruno Schoch, den Soziologen Detlev Claussen und den Islamwissenschaftler Gilles Keppel ausgesucht hat, bleibt sein Geheimnis. Schade um den Aufwand. DANIEL BAX