Sachsens Hochschulen in Gefahr

Der Freistaat glänzte einst mit einer der dichtesten Hochschullandschaften der Republik. Doch die Landesregierung unter Georg Milbradt (CDU) legt nun die Axt an: Studiengänge sollen wegfallen, die Universitätsleitungen bangen um ihren Fächerkanon

von ANETT KELLER

Günter Rexrodt saß vor einem Ölscheich. Seine blanken Schuhsohlen streckte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister seinem muslimischen Gesprächspartner entgegen – und fiel damit durch. Denn er beleidigte den Ölmagnaten durch die Haltung seines Schuhwerks.

Rexrodt ist eines von vielen schlechten Lehrbeispielen des Studiengangs „Interkulturelle Kommunikation“ an der Technischen Universität Chemnitz. Hier lernen Studierende so genannte soft skills, die neben Fachkompetenz und reichlich Fremdsprachenkenntnis heutzutage besonders gefragt sind. Doch nun droht auch der Kreativstudiengang durchzufallen. Die Studierenden warten vergeblich auf die Einstellung von drei Lehrkräften, die das Land nicht mehr zahlen will. Sachsen kürzt an den Hochschulen, wo es nur geht.

Sachsens neuer Bildungsminister Mathias Rößler (CDU) verhängte im Juni einen Einstellungsstopp. Zudem belegte er fast 40 Prozent der Sachmittel mit einer Ausgabensperre. Das ist das Ergebnis drastischer Kürzungen im Wissenschaftsetat des Landes. Rößler muss für knapp ein Fünftel der Sparsumme geradestehen. Nur ein Zeichen für den geringen Stellenwert der Bildung in Sachsen (siehe rechts).

„Idiotisch und kontraproduktiv“, so nennt der Chemnitzer Universitätsrektor Günter Grünthal die Einsparungen. Die Sperre trifft alle Hochschulen des Landes zusätzlich zu den ohnehin schon bis 2004 beschlossenen Stellenstreichungen: 193 in Dresden, 108 in Leipzig und 63 in Chemnitz.

„Wenn es so weitergeht“, sagte Volker Bigl, Rektor der Universität Leipzig und Chef der Landeshochschulkonferenz, „ist die Idee der Universität in ihrer derzeitigen Prägung gefährdet.“ Volluniversitäten, also Hochschulen mit dem ganzen Fächerspektrum, werde es nach weiteren Kahlschlägen nicht mehr geben.

Die Landesregierung hat Ausnahmen versprochen. Sie will Anträge, Stellenstreichungen zu unterlassen, „schnell und unbürokratisch prüfen“. Doch den Worten folgten bislang fast keine Taten. Nur Dresden hat zwei positive Zusagen. In Chemnitz und Leipzig übt man sich im Warten.

„Die Leute resignieren langsam“, sagt Peter Gutjahr-Löser, Kanzler der Universität Leipzig. Sein Rektor Bigl berichtet, die Unis schöben die Kürzungen „wie eine Bugwelle vor sich her“. Mit allen möglichen Methoden versuchen die Uni-Verwalter Einsparungen zu strecken: Putzfrauen kommen seltener, kaputte Apparate warten länger auf Reparatur, neue Bücher für die Bibliotheken sind nicht mehr drin.

Die düstere Zukunft für die Heimstätten intellektueller Eliten verstärkt ein Problem, das Sachsen ohnehin plagt: die Abwanderung der Jugend, der Weggang von verunsicherten Fachkräften. Selbst wenn Dresden die Gnadenanträge der Hochschulen positiv bescheidet, die Unsicherheit bleibt – und spricht sich herum. „Kann man bei euch überhaupt noch anfangen?“ ist die Frage, die Sachsens Rektoren von ihren Kollegen häufig hören. Erfolgreicher wissenschaftlicher Nachwuchs lässt sich nur mit sicheren Stellen anlocken.

Die neue Strategie von Wissenschaftsminister Rößler nach dem gescheiterten Hochschulkonsens (siehe Kasten) sieht vor, die Hochschulleitungen einzeln in Dresden antanzen zu lassen. Bis September sollen die Unis entscheiden, wo sie ihre Einrichtungen kürzen wollen. Die aber tun sich schwer damit: Sie wollen den schwarzen Peter für den Kahlschlag nicht haben. Von den Rektoraten aus ganze Fakultäten oder Studiengänge zum Abschuss freizugeben, mag sich derzeit niemand vorstellen.

„Hier muss eine politische Grundsatzentscheidung gefällt werden“, sagt Bigl, der Verhandlungsführer der Hochschulen. Das bedeutet wahrscheinlich, dass das Landesparlament die Schließung ganzer Studienzweige beschließen wird. Sachsens neuer Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) war noch nie ein Freund von Doppelangeboten an den Unis im Freistaat. Bei seinem Wissenschaftsminister Rößler laufen die Streichungen unter: „Aufgaben bündeln“ und „regionale Verbünde schaffen“.

Die sächsischen Studenten sind dabei zu resignieren. Sylvia Ehl etwa, Referentin für Hochschulpolitik beim Leipziger Studentenrat, bedauert, dass sich die Hochschulen gegenseitig zerfleischt hätten. Die Verantwortung für die Hochschulmisere liege aber im Ministerium. „Bildung hat dort überhaupt keine Priorität mehr.“

Mit Wehmut denken Studierende wie Professoren mitterweile an den ehemaligen Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer (CDU). Meyers Auffasung war, dass gerade arme Bundesländer sich ein reiches Bildungssystem leisten müssten – weil es das einzige Potenzial sei, das sie besitzen. Aber Meyer ist weg. Er wollte unter einem Georg Milbradt nicht dienen.