Lokal denken und handeln

von BERNHARD PÖTTER

Die Revolution begann in Mönchweiler. Die Gemeinde in Baden-Württemberg lud 1998 als erste deutsche Kommune ihre Bürgerinnen und Bürger zu einem einmaligen Experiment ein: Die Steuerzahler wurden befragt, wie denn ihr Geld am sinnvollsten ausgegeben werden sollte. Mit dem Albtraum jedes Sparkommissars, der offenen Diskussion von Einnahmen und Ausgaben, hatten die Politiker die Bürger von Steuerpflichtigen zu Entscheidern gemacht. Und nebenbei einen wichtigen Teil der Lokalen Agenda 21 verwirklicht: Immerhin jeder vierte Befragte füllte den Fragebogen aus und schickte Bürgermeister Gerhard Dietz Ideen, etwa für effizientere Straßenreinigung, Bücherei oder Feuerwehr zu. Die gleiche Erfahrung machten die Kämmerer von Monheim am Rhein und Mülheim an der Ruhr.

Dabei ist die Zwillingsschwester der schwer verdaulichen „Nachhaltigkeit“ die nicht minder bürokratisch anmutende „Lokale Agenda 21“. Ähnlich wie bei der nachhaltigen Entwicklung verbirgt sich hinter diesem Wortungetüm eine schlichte Wahrheit: Fortschritt hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Wirtschaft, Sozialem und Umwelt findet vor allem auf lokaler Ebene statt – in den Gemeinden, Dörfern und Städten. Hier müssen sich Lebensstile und Strukturen ändern, wenn nationale und globale Programme etwas bewirken sollen. „Agenda 21“-Arbeit ist die Umsetzung des alten Slogans „Global denken, lokal handeln“.

Und gehandelt haben die Kommunen. Zehn Jahre nach dem UN-Umweltgipfel in Rio lobt der Internationale Rat für lokale Umweltinitiativen (Iclei) trotz aller Rückschläge und Versäumnisse: „Die Agenda 21 kann als eines der anhaltendsten und vielleicht wichtigsten Ergebnisse des Umweltgipfels von Rio betrachtet werden.“ Auch in Deutschland wurden Projekte durchgesetzt, neue Allianzen befördert und Teilnehmer eingebunden, an die vorher nicht zu denken war:

– In Hannover investierte die Stadt im Projekt „Ökoprofit“ 100.000 Mark in Umweltschulungen für Mitarbeiter von Pflegeheimen, Stadtsparkasse und dem Reiseveranstalter TUI. Bereits nach einem Jahr sparten die Firmen 900.000 kWh Strom, 450.000 Liter Wasser, 65 Tonnen Restmüll, knapp 30 Prozent ihres CO2-Ausstoßes und damit Kosten von rund 150.000 Euro.

– in Darmstadt-Dieburg untersuchte die Verwaltung die Einsparmöglichkeiten bei Wasser- und Stromverbrauch und bei Abfall- und Heizkosten der 80 Schulen. Die SchülerInnen machten mit, sparten zwei Millionen Mark an Nebenkosten und 17 Prozent der Energiekosten – und durften das Geld für Baumaßnahmen in den Schulen behalten.

– das Programm „Arbeit und Klimaschutz“ sorgte in Hamburg für bessere Wärmedämmung von Wohnhäusern und Qualifizierung von Handwerkern. In zwei Jahren wurden über 1.100 Gebäude gedämmt, 27 Millionen kWh Energie und 6.800 Tonnen Kohlendioxid eingespart, 400 Baujobs gesichert und 120 arbeitslose Jugendliche ausgebildet und beschäftigt.

– Die Deutsche Umwelthilfe erstellte zusammen mit einem Forschungsinstitut und der Koordinierungsstelle „Agenda-Transfer“ eine Checkliste für die nachhaltige Entwicklung einer Kommune. Anhand der Beispiele lässt sich ablesen, ob und wie weit der Prozess in den Gemeinden vorankommt.

Dennoch zeigen diese Beispiele nur die Schokoladenseite. Unter vielen Aktiven der deutschen Agenda-Bewegung sitzt der Frust tief. Zwar gibt es in Deutschland weltweit die meisten Kommunen mit einem Agenda-Beschluss (2.291; Stand März 2002), in Nordrhein-Westfalen und Hessen sogar jeweils 60 Prozent der Gemeinden. Bundesweit sind das aber nur 16 Prozent der Kommunen, und die Aktivisten kämpfen in den Niederungen der Kommunalpolitik mit zähen Gegnern: „Der Agenda-Prozess findet neben den Entscheidungen von KommunalpolitikerInnen und dem alltäglichen Verwaltungshandeln statt“, heißt es von der Deutschen Umwelthilfe. Und die Zeitschrift Agenda-TOPs bemängelt, Kooperation falle vielen Interessengruppen teilweise so schwer, dass sie „lieber in ihrem seit Jahrzehnten eingeübten Gegeneinander verharren“. Schließlich seien auch „die Bürgerinnen und Bürger nach wie vor nicht gewohnt, nach ihrer Meinung befragt und von der Politik und der Verwaltung eingeladen zu werden.“

Der Stillstand bei der Lokalen Agenda hat viele Gründe. So stößt ihr Ansatz, Wirtschaft, Umwelt und Soziales zusammen zu denken, in Behörden auf Gegenwehr, weil sie genau anders strukturiert sind – eben als einzelne Ressorts für Wirtschaft, Umwelt, Soziales. Insider geben auch zu, dass sich bei der Bürgerbeteiligung oft nur „die gleichen politischen Köpfe wiederfinden, die bereits in der Vergangenheit in Ortsvereinen oder Bürgerinitiativen aktiv waren“.

Damit dieser Motor rund läuft, sollte nach den Vorstellungen der Agenda-Erklärung von Rio (siehe Kasten) die Verwaltung von den Bürgern lernen. In der Praxis klappt die Demokratie von unten allerdings vor allem dort, wo sie von oben organisiert wird – steht der Bürgermeister auf Seiten der Lokalen Agenda, funktioniert der Prozess. Ab und zu werden die Initiativen als willkommene „Sparschweine“ benutzt, wenn die Bürger in Eigenregie und ehrenamtlich Aufgaben übernehmen. Albrecht Hoffmann von der Bonner Koordinationsstelle „Agenda-Transfer“ sieht neben dem großen Plus „Aktivierung der Bürger“ auch die blinden Flecken der Arbeit: „Die Beteiligung von Jugendlichen und das Thema Entwicklungspolitik kommen zu kurz.“ Das Thema Eine Welt reduziere sich oft auf den Vertrieb von fair gehandeltem Kaffee, kritisieren andere Aktivisten. Die deutschen Initiativen kümmerten sich vor allem um Umweltschutz.

Trotz dieser Defizite zieht Iclei eine positive Bilanz der letzten zehn Jahre. Die Lokale Agenda 21 habe die Politik in ganz Europa verändert, schreiben die Autoren der Studie „Accelerating Local Sustainability“. Angesichts der öffentlichen Vernachlässigung des Themas habe gerade die Arbeit der Agenda-Initiativen lokale Energien für die globale Aufgabe freigesetzt. „Als politisches Werkzeug für die Unterstützung der nachhaltigen Entwicklung ist die Lokale Agenda 21 ihr Geld wert“, zieht Iclei Bilanz. Allerdings sei „die Rhetorik oft beeindruckender als die Realität“.

Denn wenn es hart auf hart kommt, übergehen viele Kommunen die Einwände der Lokalen Agenda 21. Die Versiegelung von Flächen etwa schreitet in Deutschland ungebremst voran. Und zuständig für Baugenehmigungen und die Planung neuer Wohnquartiere sind immer noch die Gemeinden.