Klischierte Vorstellungen

Zumindest für europäische Freunde des Authentischen eine Country-Songwriter-Sensation: Calvin Russell stellt manchen einen erquicklichen Abend in Aussicht

Seit etwa 40 Jahren gelten in den USA klare Regeln: Wer Country machen will, aber keinen Squaredance mag, kann sich in Kooperation mit der Nashviller Industrie ein Outlaw-Image zulegen, so tun, als könne einen dort niemand leiden, und ein Superstar werden. Oder gleich selbst angeben, Nashville nicht leiden zu können. Dann muss man entweder in Austin, Texas, wohnen – oder sich dorthin orientieren, wie es Townes Van Zandt, Steve Earle oder Dwight Yoakam vorgemacht haben.

Eine dritte Möglichkeit zeigte in den letzten zehn Jahren die Karriere von Calvin Russell auf: Man wird in Austin geboren, wird kleinkriminell, kommt im Knast auf die Idee, Songs zu schreiben, lässt sich schließlich von einer französischen Plattenfirma entdecken und zieht in die Schweiz. Dort sagt man dann, in Austin können einen keiner leiden. Diese Variante hat einige Vorteile, nicht zuletzt die relative Konkurrenzarmut und die Möglichkeit, vom harten Leben auf der berühmten Kehrseite des amerikanischen Traums zu erzählen. Zur Belohnung wird man von europäischen Journalisten mit Adjektiven überhäuft, die alle mit „authentisch“ synonym sind, und kann sich prima über Wasser halten.

Sicherlich hat Russell die Sprachbarriere geholfen, in Deutschland, der Schweiz und insbesondere Frankreich als vom Leben gezeichnete Songwriter-Sensation durchzugehen. Auf seiner aktuellen Platte Rebel Radio sind gerade mal drei von 13 Songs von ihm, und mit Zeilen wie „What good is a country boy for/ when there ain‘t no country anymore“ ist er doch weit entfernt von stilistischer Sicherheit. Vorwerfen aber kann man ihm das kaum: In Interviews gibt Russell unumwunden zu, das Erfüllen klischierter Vorstellungen ernähre ihn besser als alles, was er vorher gemacht habe. Immer wieder scheint auch die emotionale Attraktivität auf, durch die sich die Pastiche-Form alt.country immer wieder bewährt.

Live könnte Russell durchaus zu gefallen wissen, zumal in der Vergangenheit Musiker wie Chuck Prophet oder Giant Sand-Musiker zu seiner Band gehörten. Leute also, die nicht primär im Verdacht stehen, langweiliges Kunsthandwerk abzuliefern. Wenn sich Russell auf der Bühne etwas spielerischer präsentiert, versprechen zumindest die geschmackvollen Coverversionen einen erquicklichen Abend – besonders die Townes Van Zandt-Stücke. Georg F. Harsch

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik