Deutsches Quadrophenia

Wie man Glück überlebt und dabei immer besser als die erfolgreichen US-Bands wird: Die Aachener Gitarrenpopband Pale streitet heute im Magnet-Club für Gerechtigkeit

Ist das gerecht? Nur weil du nicht in einer Garage in Kalifornien aufgewachsen bist, will keiner deinen Gitarrenrock hören? Nur weil du nicht mit Wasser aus dem Mersey River getauft wurdest, wollen keine Massen deine englischen Texte mitsingen? Die Sache mit dem Standortnachteil trifft vor allem jene Musiker, deren Vorbilder allzu offensichtlich mindestens eine Kanalüberquerung entfernt liegen. So auch Pale, ein Quartett aus Aachen, das in Interviews immer wieder mal das Klagelied vom Propheten anstimmt, der im eigenen Lande nichts gelte. Währenddessen begeistere sich das Publikum noch an der durchschnittlichsten US-Band. An dieser Beschwerde ist was dran – einerseits. Andererseits dürfen sich gerade Pale auch nicht wundern, haben sie doch in ihrer nun achtjährigen Bandgeschichte von Grunge über Emocore fast jede gitarrenlastige Mode nachvollzogen.

In letzter Zeit allerdings orientieren sie sich eher an der Historie. Als Verehrer von The Who und Paul Weller schrecken sie selbst vor Konzeptalben nicht zurück. „Razzmatazz (The Arts At The Sands)“ erschien 2000 und erzählt in Songs und Zwischenspielen die Geschichte eines Jazz- und Soul-Fans, der zurückkehrt in die Stadt, in der er aufgewachsen und aus der er einst geflüchtet ist. Aber nichts ist, wie es war, die Freunde lassen ihn im Stich, die Musik ist der einzige Halt, kurz: eine klassische Coming-of-Age-Geschichte mit dem eindeutigen Vorbild „Quadrophenia“. Bereits auf dieser Platte versuchten Pale als heimliche Mods erstmals ihre Leidenschaft für Northern Soul mit ihrem Bedürfnis für die große Gitarrensause zu verbinden.

Auf ihrem neuen Album „How To Survice Chance“ geht es um den Zufall. Im dicken Booklet kann man darüber lesen, wenn man es lesen könnte: Gedruckt wurde weiß auf weiß. Was zu erkennen ist, hängt ab von Lichteinfall, Dioptrien, gutem Willen und – na klar – dem Zufall. Die Reihenfolge der Songs auf der Platte wurde nicht etwa von Band und Produzent in langen Stunden ausgetüftelt, sondern einfach der Random-Funktion des Computers überlassen.

Elektronik und Sampler benutzen sie nun seltener als früher. Dafür haben sie die Instrumentierung stark erweitert: Streicher suchen sich mitunter verzweifelt eine Lücke, ein Klavier tröpfelt vor sich hin, Doo-Wop-Chöre dudeln harmonieselig gen Unendlichkeit. Vielleicht standen diesmal eher die Beatles Pate. Und die Housemartins.

Trotz dieser stilistischen Fülle bleiben Pale im Herzen eine Beatband mit ein paar großartigen Melodien. Und wirken so nahezu spartanisch im Vergleich zu den US-Bands mit ihrem übersättigten Gitarrenklang, der heutzutage die Charts regiert. Die Sache mit dem Standortnachteil bleibt. Ist das gerecht? Manchmal nicht.

THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, Magnet, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg