off-kino Filme aus dem Archiv– frisch gesichtet

Er drehte nur wenige Spielfilme und stand stets im Schatten seiner berühmteren Zeitgenossen Godard, Truffaut, Rohmer, Chabrol und Rivette. Und doch schuf der französische Regisseur Jacques Rozier einen der schönsten, aber eben auch am wenigsten bekannten Filme der klassischen „Nouvelle Vague“. „Adieu Philippine“ (1963) ist ein Film über banale Dinge und Ereignisse im täglichen Leben und darüber, was es bedeutet jung zu sein. Ein 19-jähriger Kameraassistent steht kurz vor seiner Einberufung zum Militär – das heißt, ihm droht der Einsatz im Algerienkrieg –, weshalb er denn auch versucht, zuvor mit zwei Mädchen noch so viel Spaß wie möglich zu haben. Es geht darum, sich ein Auto zu kaufen und nach Korsika in Urlaub zu fahren, es geht um das Bummeln auf den Straßen, um tanzende Mädchen, Kissenschlachten und kleine Eifersüchteleien. Gefilmt hat Rozier an Originalschauplätzen, mit natürlichem Licht und der beweglichen Handkamera. Das bedeutete nachsynchronisierten Ton – aber auch die Gelegenheit für die Darsteller zur Improvisation. Zum Vergleich sollte man sich vielleicht noch einmal Jean-Luc Godards „Außer Atem“ (1959) anschauen, einen Film, der unter ganz ähnlichen Produktionsbedingungen entstanden war. Auch „Außer Atem“ erzählt von jungen Leuten und wirkt doch anders: Denn Godards Inspirationsquelle für die Geschichte vom amoralischen Kleinganoven Michel, der beiläufig einen Polizisten erschießt, seine Freunde beklaut und mit einer jungen Amerikanerin durch die Betten tollt, war vor allem das amerikanische Kino – Roziers Inspiration dagegen das Leben selbst.

„Adieu Philippine“, 31. 7. im Arsenal 2; „Außer Atem“, 27. 7.–28. 7. im Checkpoint

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Ein Idol der „Nouvelle Vague“ war Jean-Pierre Melville. Er hat „Außer Atem“ einen schönen Auftritt als Schriftsteller Parvulescu, der als eines seiner Ziele angibt, unsterblich werden zu wollen – um dann zu sterben. Von den französischen Filmemachern der älteren Generation hatte Melville wohl die größte Unabhängigkeit erreicht: Er besaß ein eigenes kleines Studio (das jedoch später abbrannte) und hatte in den 40er- und 50er-Jahren eine Reihe von Filmen mit kleinen Teams gedreht. Er selbst und ein Kameramann, das würde ihm zum Filmemachen eigentlich ausreichen, ließ er verlautbaren – wohl nicht unbedingt zur Freude der Gewerkschaften. Von Improvisation hielt Melville allerdings nicht viel, seine Filme waren überaus sorgfältig geplante, stilisierte Studien zum immer gleichen Thema: der existentiellen Einsamkeit des Menschen. „Der eiskalte Engel“ (1967) ist Melvilles wohl bekanntester Film: Auch der Berufskiller Jeff Costello (Alain Delon) unterhält keine Freundschaften, und seine Beziehungen zu Frauen sind funktional – die Damen besorgen lediglich das Alibi. Costellos Leben wird vom trostlosen Interieur seiner Wohnung illustriert: Da stehen gerade mal ein Bett, ein Schrank, eine leere Kommode und ein Vogelbauer – dessen Insasse das einzige Lebewesen zu sein scheint, an dem Costello Interesse hat.

„Der eiskalte Engel“, 26. 7. im Arsenal 2

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Der italienische Zeichentrickregisseur Enzo d’Alò gehört zu den wenigen Meistern seiner Zunft, die mit ihren Werken noch eine pädagogische Absicht verbinden – ohne diese jedoch mit dem Holzhammer vermitteln zu wollen. War sein Film „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“ – in dem der Kater ein Möwenei ausbrütet und den Vogel, den er sonst eher fressen würden, aufzieht – vor allem ein Plädoyer für die Toleranz gegenüber Anderen, so geht es in der Verfilmung von Michael Endes „Momo“ um die Rettung der Welt vor ermüdender Hektik und eintönigem Grau. Denn die Grauen Herren überreden die Menschen zur Zeitersparnis und bunkern die gewonnenen Stunden in ihrer Zeitsparkasse – die Welt wird ein überaus ungemütlicher und unfreundlicher Ort. Nur Momo, das mysteriöse Mädchen mit einem viel zu großen Mantel lässt sich nicht korrumpieren. D’Alò hat die nicht einfach zu verstehende Parabel für Kids im Vorschulalter aufbereitet: in einem hübschen Bilderbuchstil, und mit einer charmant-naiven Identifikationsfigur, die bei ihren Abenteuern meist von netten Tieren begleitet wird.

„Momo“, 26. 7.–28. 7. im Bali

LARS PENNING