Das System ist eines für Männer

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Die Arbeitmarktpolitik habe „gut“ funktioniert – meint die schwedische Regierung von Göran Persson. 5 Prozent beträgt die Arbeitslosenrate laut Eurostat in dem einstigen sozialdemokratischen Musterland momentan, im EU-Durchschnitt lag sie im Mai 2002 bei 7,6 Prozent. Doch hat dieses positive schwedische Ergebnis mehr mit der guten Konjunkturlage zu tun als mit einer besonders erfolgreichen Arbeitsmarktoffensive.

Wie schnell sich die Lage wandeln kann, zeigte der Konjunktureinbruch zu Beginn der Neunzigerjahre, als sich die Arbeitslosenzahl innerhalb von fünf Jahren verfünffachte. Denn viele Beschäftigte haben Zeit- und Leiharbeitsverträge, was die Arbeitslosenrate zwar jetzt günstig aussehen lässt, sie aber auch schnell nach oben treiben kann. 15 Prozent aller schwedischen Angestellten haben nur einen solch „zweitklassigen“ Job, das ist eine Steigerung von 50 Prozent seit 1990. Schweden liegt damit in der EU an fünfter Stelle.

Die Regierung hat diese Zeit- und Leiharbeitsverträge durch Steuererleichterungen für die Unternehmen und direkte Zuschüsse für öffentliche Arbeitgeber gefördert, um langfristig permanente Arbeitsplätze zu schaffen.

Selbst die Gewerkschaften sind nicht grundsätzlich gegen diese „Flexibilisierung“, wollen aber die Kündigungssicherheit fördern. Denn, so der Chefjurist des Gewerkschaftsdachverbands LO, Erland Olauson: „Das System funktioniert nur für Männer mittleren Alters mit schwedischer Herkunft.“ Bei Ausländern, Frauen und Jugendlichen sei es hingegen zu vielen unsicheren Kurzanstellungen gekommen.

Um diese Gruppen und die Langzeitarbeitslosen zu integrieren, laboriert die Arbeitsmarktbehörde (AMS) weitgehend mit immer neuen Variationen alter Rezepte wie Ausbildung, Umschulung und intensiver Betreuung. Dazu gehörte eine „Aktivitätsgarantie“: Arbeitslose mussten sich täglich beim Arbeitsamt einfinden und wurden mit mehr oder weniger sinnvollen Kursen und Aufgaben ganztägig beschäftigt. Als „Kindergarten“ kritisierten viele Arbeitslose diese Zwangsbeschulung – und langfristig konnte auch nicht mehr als gerade 10 Prozent der Teilnehmer ein fester Arbeitsplatz vermittelt werden.

Die Opposition fordert schon länger eine „Radikalreform“, denn, so die liberale Volkspartei: AMS sei die teuerste Arbeitsvermittlungsbehörde der Welt mit nur mittelmäßigen Ergebnissen. Die Volkspartei will deshalb die gesamte Arbeitsvermittlung privatisieren. Der Arbeitslose solle statt Arbeitslosengeld ein „Umstellungsgeld“ bekommen, das er selbst in eine Ausbildung investieren könne.

ABM-Maßnahmen sollen nach diesem Konzept ganz gestrichen werden, da diese mit regulären Arbeitsplätzen konkurrierten. Ähnlich argumentieren die konservativen „Moderaten“, die das Lehrlingssystem wieder einführen wollen, das es in Schweden seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, und die außerdem mehr Geld in eine bessere Zusatzausbildung von Ausländern stecken wollen.

Die liberale Zentrumspartei schlägt hingegen für Langzeitarbeitslose eine neue ABM-Version vor, einen „Übergangsarbeitsmarkt“. Es soll Lohnsubventionen für Arbeitgeber geben, auf dass nach und nach reguläre Arbeitsplätze entstehen. Die AMS hat der Regierung kürzlich einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet, den diese aber zurückgewiesen hat. Begründung: Dies würde zu Lasten schon vorhandener Arbeitsverhältnisse gehen.

Während die rechte Opposition eine AMS-Privatisierung möchte, verlangt die „Linkspartei“, dass die Arbeitsmarktbehörde gestärkt wird. Sie soll helfen, neue Konzepte vor allem für jugendliche Arbeitslose zu entwickeln. So schlagen die Linken unter anderem vor, dass alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten gezwungen werden sollen, Praktikumsplätze anzubieten.

Die Grünen wiederum favorisieren vor allem das „Freijahr“, ein Sabbatjahr. Dieses wurde mittlerweile versuchsweise in zehn Gemeinden eingeführt. Vorwiegend Langzeitarbeitslose sollen die so frei werdenden Arbeitsplätze erhalten. Das Versuchsprojekt war bislang recht erfolgreich; die bereitgestellten Budgetmittel sind weitgehend verbraucht.

Doch trotz der vielen Vorschläge: Der Arbeitsmarkt ist kein Thema, obwohl im September Parlamentswahlen anstehen. Kein Wunder bei einer Arbeitslosenrate von rund 5 Prozent.