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: Ansichten vom XXI. Weltkongress der Architekten

Die Geschichten einer Nacht

Auch der Weltkongress der Architekten UIA steht unter dem unseligen Stern von Pisa. So kann man erleben, dass portugiesische oder polnische Architekten nicht nur ihre Vorträge in hervorragendem Deutsch halten. Sie haben auch Arbeit und bauen viel, während einige ihrer deutschen Kollegen in Debatten herumstottern, als hätten sie unsere Sprache mit einer Schlagbohrmaschine verwechselt, und außerdem auf der Suche nach Jobs sind.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Jörg Schlaich (Stuttgart), der wohl beste Brückenbauingenieur der Welt und Konstrukteur luftiger Dächer wie dem über dem Münchener Olympiagelände oder jenem am Lehrter Bahnhof, kann nicht nur frei schwäbeln, dass es eine Lust ist ihm zuzuhören, sondern sagt auch laut, was er denkt. „Von dem Wenigen, was in Afghanistan noch stand, steht jetzt nichts mehr. Man hat es zerstört mit der Begründung, dort einen Terroristen zu finden.“ Das macht Hoffnung, auch für Pisa.

Hoffnung hat am Mittwoch auch gemacht, dass endlich zu merken war, dass in Berlin ein Architekten-Kongress stattfindet. Die Nacht der Galerien mit ihren Architekturprojekten machte aus Mitte einen Corso und die kleinen Ausstellungsräume in der August-, Gips- und Linienstraße zu Aktionsräumen der eigenen Zunft und Geschichten – Klischees inbegriffen: Hochhausbauer Christoph Ingenhoven fährt natürlich einen Porsche (grün). In der „Aktionsgalerie“, wo taz-Redakteur Uwe Rada eine Runde über den Ulan-Bator-ähnlichen Städtebau am Alexanderplatz moderierte, sah man Senatsbaudirektor Hans Stimmann wieder nur den Kopf schüttelnd abdrehen. Wie viele Männer hinter der Tokioter Soziologin und Leiterin der Unesco-Abteilung des World Heritage Centers herliefen, ließ sich wieder nicht zählen. Auch nicht die Wodkas des Moskauer Städtebauprofessors Garrik Andreevic Maloian, der wie viele andere auch in den KunstWerken einen Totalabsacker zu sich nahm.

Ganz spät begegnen einem dann noch Menschen und Geschichten aus dem Umfeld von Architektur und Politik, wo man nicht recht weiß, ob sie stimmen, die aber zu einem Kongresstag wie diesem einfach dazugehören.

Ein Architekturstudent („My name is Ross“) aus New York etwa erzählte, dass sein Urgroßvater Miterbauer am Manhattan-Project Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen war und der Stadt nichts Besseres passieren konnte als der Einsturz der Twin-Towers am 11. September.

Sein Begleiter („My name ist Manfredo, my mother was italian“) hatte offensichtlich nichts mit Architektur und Stadtplanung zu tun, wohnte nach eigenen Angaben aber „ein paar Jahre mit dem Joschka in der WG in Frankfurt“, aus der heraus der Straßenkampf geplant wurde. Nur als die New-York-Geschichte zum Thema wurde, wurde Manfredo zum Experten: „Ich bin gegen Abriss.“

Schließlich, der Abend war fast vorüber und alle einigermaßen abgesackt, taute auch ein rumänischer Architekt (ohne Name) auf. Sein Ururururur-Großvater, meinte er allen Ernstes, war Bauer – Manfredo übersetzte das dem New Yorker mit Builder – und habe 1658 oder 1659 großflächig die ersten Kartoffelfelder angebaut – angebuildet, wie Manfredo sagte. Die Architekturnacht der Galerien endete wohl damit, dass gestern einige Planer mit dicken Köpfen im ICC sitzen und wieder über Stadt, Landschaft und zukünftige Architektur sprechen werden. Manche werden lieber nicht sprechen, andere sich erinnern, dass sie die Stadt doch noch aufgesogen hat. Und einige erinnern sich garantiert nicht. ROLF LAUTENSCHLÄGER