„Uf dem rucke“

Eine kleine Kulturgeschichte des Schwimmsports vom Ernst der Antiken bis zum heutigen Massensport

Für Zeitgenossen, denen man so rein gar nichts zutraute, hatte man im antiken Griechenland ein Sprichwort: „Sie können weder schwimmen noch lesen.“ Sich im tiefen Wasser zurechtzufinden ist beinah so wichtig wie das Verstehen von Schriftzeichen. Die antiken Olympischen Spiele kamen ohne Schwimmwettbewerbe aus. Die Sache war, scheint’s, für Wettkämpfe schlicht zu ernst. So ernst, dass sich in der Menschheitsgeschichte immer das Militär gerne darum bemühte: „Das Schwimmen und seine Anwendung muss im Sommer jeder Neuling in gleicher Weise lernen“, berichtet der Geschichtsschreiber Vegetius.

Das militärische Erfordernis, schwimmen zu können, hatten die Römer bei ihren Gegnern abgeschaut. Der spätrömische Dichter Ausonius von Burdigala berichtet, dass in der Mosel „mit klatschenden Zügen“ geschwommen wurde. Noch im Mittelalter zählte das Schwimmen zu den Künsten, die ein Ritter „uf dem rucke und uf dem buche“ beherrschen musste.

Gleichwohl nahm im deutschen Kulturraum die Bedeutung rapide ab. Schwimmen wurde dank christlicher Leibfeindlichkeit verpönt und vielerorts verboten. Der frühe Schwimmhistoriker Carl Wolff berichtet 1908: „Das Wasserurteil war eine Art Gottesurteil: der Unschuldige ging unter, der Schuldige schwamm, weil er vom Wasser, das nichts Unreines aufnahm, ausgestoßen wurde. Das Schwemmen galt als Strafe und Vorstufe des Ertränkens.“ Aus dem Jahr 1748 ist überliefert, dass der Abt Thomas von Melk als Grundherr von Weikendorf im Marchfeld Eltern von frei badenden Kindern mit einer Strafe von 1 Pfund, 4 Schilling belegte – damals ein mittler Monatslohn.

Durchsetzen konnte sich das Schwimmen vor allem durch die Philanthropen. Diese wiederum lernten es von den Halloren, wie man die Salzpfänner auch rief. Es war ein Beruf und eine Zunft, die nur in Halle an der Saale existierte. Sie arbeiteten nackt in so genannten Koten der Saline. Um den Ruß abzuwaschen, aber auch zur Erholung stiegen sie in die Saale. Mit Beginn der Industrialisierung wurden viele Halloren arbeitslos, ein nicht geringer Teil wurde Schwimmlehrer. Ihr Ruf verbesserte sich noch, als 1799 bei einem Hochwassereinbruch die Halloren viele Menschen vor dem Ertrinken retteten.

Das lange unterdrückte Schwimmen setzte sich langsam durch. 1760 wurde in Paris die erste öffentliche Schwimmschule eröffnet, 1777 entstand in Mannheim auf dem Rhein die erste deutsche Badeanstalt. So zivil blieb es in Deutschland aber nicht: 1811 verhängte das preußische Militär einen Erlass, wonach das Schwimmen zur Grundausbildung zähle: „Das Schwimmen ist die vorzüglichste Leibesübung und sollte die allgemeinste sein“. Und 1817 baute der preußische General Ernst von Pfuel in Berlin, etwa an der heutigen Oberbaumbrücke, die erste deutsche Schwimmschule. Auch die erste deutsche Halle wurde 1855 in Berlin gebaut: an der Schillingbrücke. Aber noch war Schwimmen ja kein Massensport. 1919 konnten 90 Prozent der Deutschen nicht schwimmen. Erst ab den Zwanzigerjahren setzte es sich durch. Heute geben 32 Prozent der Deutschen an, mehr oder weniger regelmäßig schwimmen zu gehen – wenn das Bad um die Ecke noch geöffnet hat. MARTIN KRAUSS

Von Martin Krauß soeben erschienen: „Schwimmen. Geschichte, Kultur, Praxis“. Verlag Die Werkstatt, 16,90 €