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Entspannung beim Wrestling

Lange trug Bob Mould schwer an seiner Vergangenheit als wegweisender Gitarrist von Hüsker Dü. Nun hat er sich mit der Elektronik angefreundet und probt mit gleich mehreren Alben den Neuanfang

Abstand von seiner Krise gewann Mould als Kreativberater einer Catcher-Show

von THOMAS WINKLER

Die Sache mit dem Catchen schaffte Abstand. Sieben Monate war Bob Mould bei „World Championship Wrestling“ als Kreativberater viele Stunden täglich damit beschäftigt, „jeden Tag eine neue Broadway-Show auf die Beine zu stellen und abends live im Fernsehen zu übertragen“. Das waren auch sieben Monate, in denen er sich keine Gedanken darüber machen musste, wie er nun weiter machen sollte: als ältlicher, schwuler Punkrockmusiker, erdrückt von der Last der eigenen Vergangenheit, genervt von Bands und gelangweilt von Gitarren.

Nun, gute zwei Jahre nach seinem Ausflug in die bunte Welt des Show-Ringens, hat Bob Mould eine neue Platte herausgebracht. „Modulate“ heißt sie, seine erste seit nahezu einem halben Jahrzehnt. Auf ihr setzt Mould erstmals in seiner langen Karriere Elektronik ein. Zwei Welten treffen so aufeinander: die sägenden Gitarren, Bob Moulds Markenzeichen seit seinen Tagen bei Hüsker Dü und Sugar, seiner Nachfolgeband, sowie das Piepsen des Computers: Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Innovation, Jugend und Alter.

Wrestling spielt auf „Modulate“ zwar keine Rolle. Aber Bob Mould hat die Monate ohne Verbindung zum Rockgeschäft zur Neuorientierung genutzt: um Abstand zu gewinnen von der eigenen Lebenskrise. Das Abtauchen in die Scheinwelt des Fake-Sports, der uns Europäern so lächerlich erscheint, wurde für Mould zur Therapie. Wrestling ist für ihn „eine sehr seltsame Performance-Kunst, vielleicht eine primitive Form von Shakespeare. Natürlich darf es nicht zu kompliziert werden, sonst würde es nicht funktionieren. Aber wie in einem Drama geht es um Betrug und Rache, um Gut und Böse.“ Oder vielleicht auch: um Laut und Leise. Um Punk und Kommerz, um Gitarre und Elektronik.

Und: um das richtige Leben im Falschen. Denn Mould schien zunehmend blockiert von der eigenen Vergangenheit. Manchen gilt Hüsker Dü, seine einstige Band, noch immer als einflussreichste Band der 80er-Jahre. Von Minneapolis aus lösten sie Punk und den daraus entstandenen Hardcore aus seiner ideologischen und musikalischen Starre und versöhnten ihn erfolgreich mit Pop.

So erfanden sie Alternative Rock, begannen, was später zu Nirvana und den bekannten Folgen führte, und lösten sich auf, kurz bevor sie selbst Mainstream werden konnten. Ohne Hüsker Dü wäre die Geschichte der elektrischen Gitarre als bevorzugte Ausdrucksmaschine für den zornigen jungen Mann womöglich in den frühen 80ern zu Ende gegangen. „Die Menschen sprechen noch heute über uns“, erzählt er, und es klingt fast ein wenig erstaunt. „Wir hatten einen gewissen, nicht zu verleugnenden Einfluss. Und das macht mich schon stolz.“

Viel mag Mould aber immer noch nicht erzählen über jene Tage. Noch vor kurzem weigerte er sich schlicht, zu kommentieren, wie es dazu kommen konnte, dass er und sein „furioser Gitarrensound“ in die Rocklexika Eingang fanden. Denn gerade von diesem scheint sich Mould nun entschieden verabschieden zu wollen. „Modulate“ ist da nur eine Etappe und der Versuch, einen Entwicklungsprozess zu dokumentieren: So sieht es der Künstler selbst und hofft, dass die vielen Programmierfehler und Ungereimtheiten als „glückliche Zufälle“ gehört werden. Im Rahmen dieses Prozesses wird er in den kommenden Monaten gleich noch zwei weitere Platten auf den Markt werfen: zum einen „LoudBomb“, das ganz ohne Gitarren auskommt und von Ambient beeinflusst ist; zum anderen „Body of Song“ mit fast nur akustischen Gitarren und klassischen Songstrukturen. So gerät „Modulate“, glaubt Mould, zum „Mittelding, das den Wandel illustriert, den ich gerade durchmache“.

Ein Wandel, den er vielleicht als einer der Letzten durchläuft: Viele von Moulds alten Freunden haben Übungsraum und Rockbands verlassen, auf DJ umgesattelt und den Weg in die Clubs gefunden. Moby oder Fatboy Slim sind nur die prominentesten Beispiele für Musiker, die, von New Wave und Postpunk geprägt, kommerziell ungemein erfolgreich die neuen Möglichkeiten der digitalisierten Musikproduktion für sich entdeckt haben. Während Hardrock und Punk auf breiter Front Wiederauferstehung feiern, hat die Generation, die für die letzte große Blüte der epischen Gitarrenarbeit verantwortlich war, mittlerweile mühsam die digitale Revolution nachvollzogen.

Bob Mould ist da nur ein Nachzügler. Dass er aber mit Sampler und Rhythmusmaschinen irgendwann einmal ähnlich aufregende Musik wie mit der Gitarre abliefern sollte, ist noch nicht abzusehen. „Ich weiß, dass ich mit der Elektronik lange nicht so gut bin wie viele andere“, gibt er zu. „Aber so war das auch mal mit der Gitarre, als ich angefangen habe. Diese naive, nicht traditionelle Herangehensweise ist mir wichtig. Das hat weniger mit den Instrumenten zu tun als mit dem Aufeinanderprallen der Instrumente.“ So klingt „Modulate“ denn auch: unfertig, roh, ungelenk. Das ist es dann wieder: Das Prinzip Punk.

Bob Mould: „Modulate“ (Cooking Vinyl/Indigo)

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