h.g. hollein Ad cassam

Die Kassen, an denen ich bisweilen warte, haben etwas zutiefst Zwischenmenschliches. Sie sind einer der seltenen Orte, an denen man sich seine Mithumanoiden mal so richtig schamlos aus der Nähe ansehen kann. Vom Ohrenbewuchs über den Kragenspeck bis zur Unterhose, die aus der Jeans ragt. Ich frage mich manchmal, ob es ihnen mit mir ähnlich geht, oder ob ich tatsächlich als einziger ein so niedriges Persönlichkeitsprofil habe, dass ich bei solchen Gelegenheiten bis auf Riechnähe an Vordermann oder Vorderfrau herantrete, wie es scheint, ohne wahrgenommen zu werden. Der Verdacht, das dem so sei, liegt nahe, schließlich vermittelt mir die Gefährtin daheim regelmäßig den gleichen Eindruck. Wie dem auch sei, ich stehe also gar nicht mal so ungern Schlange. Auch immer wieder schön finde ich den Auftritt des Pretioklators, jenes Werteinsagers, der bei Leistungsverweigerung des Scanners wie aus dem Nichts auftaucht und sich mit elegant vorgelegtem Oberkörper über die Sperre der Nachbarkasse zu meiner Kassiererin neigt und ihr „Die neue Curry-Mischung: 1,58“ souffliert. Haben wir es hier doch mit dem Redivivus eines echt antiken Marktelements zu tun. Der Nomenklator pflegte weiland seinem Patronus auf dem Gang über das Forum diskret einzuflüstern, wen derselbe gerade vor sich hatte „Titus Tullius, reicher Kaufmann, macht in Öl, betrügt seine Frau“ und so weiter. Ich finde, die Wiederbelebung einer ausgestorbenen Spezies ist automatisierungsbedingtes Warten samt der damit verbundenen, bisweilen heftigen Auren um einen herum, allemal wert.