Konsenskommissarin

Wenn Alt-68er Dreck am Stecken und Sorgen mit dem Nachwuchs haben: „Tatort: Schatten“ (Sonntag, 20.15, ARD), ein Porträt zweier Generationen

Matter Idealismus der Eltern, eiserner Karrierewille der Sprösslinge

von CHRISTIAN BUSS

Klassentreffen unter Revolutionären laufen offensichtlich immer gleich ab: Erst macht der Joint die Runde, doch schneller als sich „Guter Stoff!“ raunen lässt, brechen die alten Unterschiede auf. So auch an diesem Abend in Bremen, an dem sich ein paar ehemalige Aktivisten zu einer konspirativen Zusammenkunft versammelt haben. Der Mord an einem Mitglied der alten Gruppe hat Ereignisse in Erinnerung gerufen, die sich vor über 25 Jahren zugetragen haben. Damals war Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden worden, und die Politgang hatte versucht, die Auslieferung des Weserexpress zu verhindern, um die Verbreitung systemgesteuerter Nachrichten zu stoppen. Dabei wurde ein Mann getötet, die Tat aber nie aufgeklärt. Unter den älteren Herrschaften, die sich nun erfolglos die Sorgen von der Hucke zu kiffen versuchen, befindet sich auch Kommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel). Ansonsten tummeln sich auf dem Treffen Angehörige von Berufsständen, die gern unter Ex-68-Generalverdacht gestellt werden, Taxifahrer etwa oder Anwälte. Auch ein Bundestagsabgeordneter der Grünen soll mal der Truppe angehört haben.

Dass die Debatte um die APO-Vergangenheit von Außenminister Fischer, die Anfang letzten Jahres tobte, Eingang finden würde in Spielfilme, war unvermeidlich. Die schemenhafte Gestalt, die man in alten Aufnahmen einen Polizisten knüppeln sah, kurbelte die Imagination des Zuschauers an – und lud zur fiktionalen Ausgestaltung geradezu ein. Wie ein spätes Echo auf ein gesellschaftspolitisches Phänomen erscheint da die immer länger werdende Reihe von Filmen zum Thema.

Die Verzögerung geht in Ordnung. Kino- und Fernsehprojekte brauchen ihre Zeit, gerade wenn sie gut erzählt sein sollen. Und die Tatort-Folge „Schatten“ ist gut erzählt – was sich nicht über alle Arbeiten sagen lässt: Erst vor kurzem lief im Kino die Komödie „Was tun, wenn’s brennt“, in der sich ehemalige Berliner Häuserkämpfer mit den Folgen eines hochgegangenen Sprengsatzes rumschlagen müssen, den sie in den frühen Achtzigern gebaut hatten.

Werber und andere arrivierte Witzfiguren lassen noch mal die verblassten Ideale ihrer Politvergangenheit Revue passieren. Auch hier kreist der Joint, während man in nostalgischer Verzückung Super-8-Filme mit Straßenkampfszenen sichtet. Dann wird so lange gekalauert, bis sämtliche Widersprüche eingeebnet sind.

Die Verantwortlichen des Tatorts machen es sich nicht so leicht. Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter, der selbst jener Generation angehört, von der seine Geschichte handelt, zeigt deutlicher die schmerzhaften Brüche in den Biografien seiner Figuren. Er berichtet von ihrem Scheitern, ohne die alten Ideen zu denunzieren.

Zugegeben, manchmal geht die Erzählstragie nicht ganz auf: „Mensch, waren wir naiv“, flüstert die Kommissarin brandyselig. Das ist genauso unnötig wie die Pointe, dass jener Aktivist, der inzwischen ranghoher Politiker bei den Grünen ist, in seiner angeknacksten Gravität frappierend an Fischer erinnert. „Einmal ein ganzes Wochendende durchschlafen!“, barmt es aus dessen sorgenvoll zerknitterter Visage; da soll man wohl Mitleid haben.

Auch die luftigen Verweise auf die Ereignisse vom 11. September nerven. Einmal ruft die gerade aus New York heimgekehrte Polizistintochter zur Verteidigung ihrer ins Zwielicht geratenen Mutter: „Ich weiß, was Terroristen tun. Meine Mutter ist nicht so!“ Rührend.

Andererseits liegt gerade in dem Aufeinanderprallen der Generationen die Stärke von „Schatten“. Wie der etwas matt gewordene Idealismus der Eltern den eisernen Karrierewillen der Kinder bedingt, ist sehr einleuchtend dargestellt.

So wird der Polit-Plot sukzessive in eine klassische Vater-Sohn-Tragödie gewendet: Einer der alten Recken (Dieter Pfaff) führt ein bescheidenes Antiquariat, sein Junge (Matthias Koeberlin) indes besitzt eine Internetagentur mit dem bescheuerten Namen „Meganet“. Durch einen gewagten dramaturgischen Dreh wird das Scheitern der 68er und die Pleite der New Economy in einen kausalen Zusammenhang gestellt. Ohne dass die Spannung leidet, führt hier also ein großes Thema zum anderen.

Davon profitiert auch Sabine Postel als politbewegte Ermittlerin: Der Konsenskommissarin, die sich manchmal etwas müde durch ihre Fälle menschelt, hätte man so viel subversive Grandezza gar nicht zugetraut.