Testfall für die Währungsunion

EU-Kommission leitet Defizitverfahren gegen Portugal ein, dessen Neuverschuldung mit 4,1 Prozent nach den Maastricht-Kriterien zu hoch liegt. Ob es zu Sanktionen kommt ist zweifelhaft. Immerhin droht eine Geldbuße von 625 Millionen Euro

aus Brüssel BARBARA SCHÄDER

Das erste Euroland hat das Klassenziel verfehlt: Portugal ist an den Kriterien des Stabilitätspakts gescheitert. Mit einer Neuverschuldung von 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2001 haben die Portugiesen die Obergrenze von 3 Prozent klar überschritten. EU-Währungskommissar Pedro Solbes leitete unverzüglich ein Strafverfahren gegen Portugal ein.

Damit droht dem Land eine Geldbuße von bis zu 0,5 Prozent des BIP. Ein Problem, das im Stabilitätspakt angelegt ist: Wer zu viele Schulden macht, dem werden weitere Kosten aufgeladen. Dazu wird es jedoch vermutlich nicht kommen. „Unser vorrangiges Interesse ist, dass Portugal seine Probleme löst“, sagte ein Sprecher gestern in Brüssel. Und da gebe es positive Anzeichen: Im Mai legte die neue Mitte-rechts-Regierung ein umfassendes Sparprogramm vor.

Hinzu kommt, dass die aktuelle portugiesische Regierung für die Schulden nichts kann. Sie wurden von ihrer sozialistischen Vorgängerin aufgehäuft, die der EU zudem geschönte Zahlen präsentierte: Sie erklärte im Februar, das Defizit habe 2001 vermutlich bei 2,2 Prozent gelegen. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat meldete jedoch Zweifel an den Zahlen an. Erst eine Prüfung durch die neue Regierung förderte jetzt das tatsächliche Ausmaß des Defizits zutage.

Die Kommission wird die aktuellen Sparanstrengungen Portugals überprüfen und im September eine Empfehlung über das weitere Verfahren an die Finanzminister der Mitgliedstaaten geben. Die könnten Portugal dann weitere Maßnahmen auferlegen, die in einer bestimmten Frist zu erfüllen sind. „Das kann auch ein Jahr sein“, so der Kommissionssprecher. Nur wenn die Auflagen in dieser Frist nicht erfüllt werden, müsste Portugal tatsächlich Strafe zahlen.

Dass die EU-Finanzminister ihren portugiesischen Kollegen mit allzu großer Strenge behandeln, ist nicht zu erwarten. Denn einige von ihnen haben selbst Probleme, den Stabilitätspakt einzuhalten: Deutschland hätte im Februar um ein Haar einen blauen Brief aus Brüssel erhalten, weil die Neuverschuldung des laufenden Jahres mit voraussichtlich 2,7 Prozent der Obergrenze von 3 Prozent gefährlich nahe kommt. Frankreich und Italien müssen jetzt mit blauen Briefen rechnen, weil sie ihre Neuverschuldung erhöhen wollen, um Wahlversprechen zu erfüllen.

Genau diese Art von Haushaltspolitik sollte der Stabilitätspakt eigentlich verhindern. Er wurde 1996 vom damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel durchgesetzt. Dieser wollte eine solide Haushaltspolitik für einen starken Euro, um den Deutschen den Abschied von ihrer Deutschen Mark zu versüßen.

Als Wächter des Stabilitätspakts gerierte sich das Bundesfinanzminsterium auch gestern: „Die EU-Kommission muss jetzt handeln“, erklärte ein Sprecher. Seit dem Handel um den blauen Brief nimmt diese Forderungen allerdings niemand mehr so richtig ernst – und den Stabilitätspakt wohl auch nicht.

Seine Abschaffung lehnte die EU-Kommission gestern allerdings vehement ab: „Wir wollen die Probleme Portugals schließlich innerhalb der Regeln des Stabilitätspakts lösen“, erklärte ihr Sprecher. Da die Regeln vorsehen, dass alle EU-Finanzminister, also auch die aus Nicht-Euro-Staaten, nach dem Bericht der EU-Kommission über das Ob und das Wann von Sanktionen gegen einen der Ihren entscheiden, kann der Stabilitätspakt auch erfüllt werden, wenn letztlich nichts passiert. Denn zumindest in wirtschaftlich schlechten Zeiten werden die Minister mit Blick in die eigenen Kassen wohl stets Milde walten lassen.

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