Folgenlose Watsche für Deutschland

Sieben Jahre nach dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen: Nichtregierungsorganisationen ziehen im „Social Watch Report 2002“ eine vernichtende Bilanz der deutschen Entwicklungspolitik. Auch in Deutschland wird die Kluft zwischen Arm und Reich größer

aus Berlin SEBASTIAN SEDLMAYR

Der Social Watch Report 2002 ist eine heftige Ohrfeige für die reichen Staaten. Und zu denen gehört bekanntlich trotz Haushaltsdefizit und Schuldenberg auch Deutschland. Sieben Jahre nach dem Kopenhagener Weltgipfel für soziale Entwicklung zog das „Deutsche NRO-Forum Weltsozialgipfel“ gestern in Berlin die Bilanz der ungenügenden deutschen Entwicklungspolitik.

Das Gesamtergebnis des zum zweiten Mal auch für Deutschland angefertigten Berichts über die Bekämpfung der weltweiten Armut sei „ernüchternd“, kommentierte der Sprecher des Forums, Klaus Heidel. Noch immer lebten 3 Milliarden Menschen mit weniger als 2 Dollar (oder Euro) pro Tag. In einigen Ländern, wie Irak, Afghanistan oder Kuba, habe sich die Situation in den letzten fünf bis zehn Jahren sogar dramatisch verschlechtert.

„Keine einzige“ Vereinbarung der Vereinten Nationen sei umgesetzt worden – „und das zwei Jahre nach der vom Weltsozialgipfel gesetzten Frist“, so Heidel.

Auch das im September 2000 gesteckte Ziel, bis 2015 den Anteil „absolut armer“ Menschen zu halbieren, denen täglich weniger als 1 Dollar zur Verfügung steht, bezeichnete Heidel als „unrealistisch“. Denn nur mit jährlich etwa 100 Milliarden Dollar, so die Rechnung der Entwicklungsorganisation Oxfam International, könnte verhindert werden, dass Arm und Reich immer weiter auseinander driften.

Das Forum protestiert daher auch „mit Entschiedenheit“ gegen die geringen Ausgaben der rot-grünen Bundesregierung für Entwicklungshilfe. Nur mit „Umbuchungen“ aus anderen Ministerien sei die aktuelle Etatsteigerung von 100 Millionen Euro im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zustande gekommen. Nötig sei allerdings eine reale Aufstockung von 350 bis 380 Millionen Euro, so Sprecher Heidel.

Geld allein werde an der Misere der Entwicklungspolitik aber noch nichts ändern. Was nach Ansicht des Forums, dem 28 deutsche Sozial- und Entwicklungshilfeorganisationen angehören, noch getan werden müsste: die Abstimmung zwischen den Ressorts verbessern. Beispielsweise würden Entwicklungsgelder von teuren Agrarsubventionen für hiesige Produzenten konterkariert.

Zweitens fordern die Entwicklungsorganisationen ein international geregeltes Staatsinsolvenzverfahren, um den erdrückenden Schuldenberg vieler armer Staaten abzubauen. Für eine effektivere deutsche Entwicklungspolitik sollen nach Willen des Forums Nichtregierungsorganisationen (NRO) bereits auf der Arbeitsebene eingebunden werden.

Die stellvertretende Sprecherin des Forums, Erika Biehn, warnte auch vor einer weiteren Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland, die in der deutschen Ausgabe des Social Report 2002 ebenfalls dokumentiert wird. Biehn wies darauf hin, dass Ausgrenzung hierzulande „kein Phänomen von Randgruppen“ mehr sei. Diese Tendenz, so Biehn, „gefährdet den sozialen Frieden“.