„Hombrecitos“ zum Barock

Visuelle Parallele zum Länderschwerpunkt des Schleswig-Holstein Musikfestivals: Werke zeitgenössischer, in Deutschland lebender spanischer Künstler in der Pinneberger Drostei

von HAJO SCHIFF

Ein Stadtwald mit Rosengarten, das Renaissanceschloss schon 1720 komplett abgerissen, ein Hotel mit Teilen aus dem alten Luxusdampfer Cap Polonio, Fußgängerzone mit Läden und die übliche Infrastruktur einer Kreisstadt: Pinneberg ist nicht gerade als Superausflugsziel bekannt. Nah an Hamburg und in Randlage Holsteins, scheint es in einer Zone zu liegen, die möglichst schnell durcheilt wird. Und doch steht mit der schlossähnlichen Drostei dort eines der schönsten Gebäude des norddeutschen Spätbarock.

Pinneberg war königlich dänischer Besitz, und der oberste Sachwalter der Krone für die Gegend war der Landdrost. Einer der Drosten, der Ritter vom Danebrog und Geheime Konferenzrat Hans von Ahlefeld, ließ von 1765 bis 1767 seinen Amtssitz im norddeutschen Barock neu erbauen. Baupläne und Bauakten sind verloren gegangen, aber aufgrund von Stilähnlichkeiten wird der aus Mecklenburg stammende Hamburger Baumeister der Michaeliskirche, Ernst Georg Sonnin, als Architekt oder zumindest Berater vermutet.

Der neunachsige Bau blieb bis zum Ende der Dänenzeit Sitz der Provinzialregierung und diente, nachdem Preußen sich Schleswig-Holsteins bemächtigt hatte, von 1867 bis 1933 dem Landrat, später als Katasteramt und nach 1945 vorübergehend als Flüchtlingsheim. Von 1984 bis 1991 saniert und restauriert, ist die Drostei nun das in Form einer Stiftung geführte Kreiskulturzentrum. Ausladende Kronleuchter, alte, wenn auch nicht mehr originale Öfen, Seidentapeten und viel Rokoko-Stuck geben dort einen festlichen Rahmen für Konzerte und Lesungen. Die teils leeren Halbrundnischen der nicht ersetzten Öfen lassen in den beiden Obergeschossen zudem genügend Raum, um fünf- bis sechsmal im Jahr Kunstausstellungen zu hängen.

An einem solchen Ort geht auch das Schleswig-Holstein Musik Festival nicht vorbei: Nächsten Sonntag spielen dort Künstler aus dem Meisterkurs des Pianisten Bruno Leonardo Gelber, und passend zum Festivalschwerpunkt Spanien werden derzeit Arbeiten von elf Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Doch es geht bei der Ausstellung Arte Español nicht um die großen Klassiker, sondern um zeitgenössische spanische Künstler, die in Deutschland leben. Dabei verorten sich die Künstler oft im imaginären Kontinuum der Kunstgeschichte: Unter den von informeller Farbigkeit geprägten Bildern von Julio Calvo werden Erinnerungen an die Meninas von Velázquez und andere Großmeister der Malerei sichtbar, auch Gloria del Mazo zitiert von Leonardo bis Manet idealisierte Frauenporträts in Kopie und setzt sie in neuer Farbigkeit in leichte Verfremdung.

Doch traditionelle Kunsttechniken müssen nicht zu traditionellen Ergebnissen führen: Imma Parelló gestaltet eine schnelle, flächige Malerei in rot und orange zu an die späten Sechziger erinnernden, sehr laut wirkenden Kinderporträts. Auch die Glaskunst findet zu neuen Ausdrucksformen: Im Wachsausschmelzverfahren gießt Camelo Lopez aus bläulicher Glasmasse seine Hombrecitos. In ihrer Spiegelung in Metallplatten wirken die unvollständigen, kaum größer als zehn Zentimeter geratenen, teils in gequälten Positionen gezeigten Menschlein zerbrechlich und gefährdet.

Als Ausdruck moderner Orientierungslosigkeit lassen sich die Bildcollagen von David Alcántara Ortega lesen. Über Fotos von Menschenmassen sind graphische Zuordnungen gemalt und in kindlicher Handschrift geheime Botschaften notiert. Es geht um Beobachtung, sortierende Erfassung, irgendwie begreifende, vielleicht sogar feindliche Organisation von Welt. Doch die aufgemalten Pfeile zeigen in verschiedene Richtungen und heben sich auf: Das Öffentliche wird hermetisch. Auch das passt gut zur Drostei, die mit ihren kulturellen Botschaften in Pinneberg ein bisschen wie ein Insel ist.

Arte Espanol, noch bis 17. August; Sommeröffnungszeiten: Mi–Sa 11–16 Uhr. Die Drostei, Dingstätte 23, Pinneberg