Eine Frage der Spitze

Hertha BSC zelebriert die Saisoneröffnung und präsentiert eine Mannschaft vor dem großen Umbruch. Im Sturm des Fußballbundesligisten drängeln sich die Brasilianer

Mit seinem Expertenauge peilte Andreas Kramell die Lage, um dann resolut seine Helfer anzuweisen, eine zweite Reihe Flatterband zu ziehen. Der Ordnungskräfteleiter wollte den großen Fanandrang kanalisieren, um die zweistündige Autogrammsitzung des Hertha-BSC-Personals am Sonntag in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. „Die wollen Luizao und Stevens aus der Nähe sehen“, mutmaßte Kramell die Motivation der Gekommenen, die schon bei Öffnung der Tore am Maifeldgelände um 11:00 Uhr dicht gedrängt auf den Einlass gewartet hatten. Mit „deutlich mehr als 20.000“ rechnete Hertha-Geschäftsführer Ingo Schiller mit mehr Besuchern als bei der letztjährigen Saisoneröffnung. Die versuchten es sich bei fast 30 Grad Hitze vor der romantischen Baukrahnkulisse des in Renovierung befindlichen Olympiastadions gemütlich zu machen und das mit Torwandschießen sowie Wasserfußball und Sumoringen für Kinder deutlich auf Familienfest gestylte Programm zu genießen.

Hertha-Stadionsprecher Udo Knierim half dabei nach Kräften. Als ein Jugendlicher das Spielgerät gekonnt minutenlang durch die Luft jonglierte, versuchte sich Knierim als Talentspäher und rief im Spaß nach Herthas Manager. Doch Dieter Hoeneß war damit beschäftigt, Fragen nach dem Transfer des Brasilianers Nené abzuwehren, der möglicherweise in den nächsten Tagen realisiert wird.

Ein anderer Brasilianer sorgt dagegen schon für positive Resonanz. Der neu verpflichtete Luiz Carlos Goulart, Künstlername Luizao, „bringt das Team sportlich weiter“, zeigt sich Kapitän Michael Preetz von den Torjägerqualitäten des 27-Jährigen überzeugt. Einen Titel will Preetz holen und sich dazu für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren, „am besten für die Champions League“, bevor der 35-Jährige nach dieser Saison seine aktive Karriere beendet und ins Vereinsmanagement wechselt. Preetz wird nicht der einzige Abgang bleiben, etliche Verträge wie der von Van Burik, Tretschok oder Hartmann laufen am Saisonende aus, Abwehr-Oldie „Jolly“ Sverrisson wird ebenfalls seine Hertha-Schuhe an den Nagel hängen. „Es wird eine komplett andere Mannschaft geben“, ist sich der „Lange“ sicher.

Dazu wird Arne Friedrich zählen. Der Neuzugang von Arminia Bielefeld zeigte sich im Gegensatz zu vielen seiner kickenden Kollegen locker und entspannt vor der Autogrammstunde. Vielleicht hängt es mit seinen guten Aussichten auf einen Stammplatz ab nach der Verletzung des bisherigen Abwehrorganisators Dick van Burik. „So viele Einsätze wie möglich“ hat sich der 23-jährige Verteidiger als Ziel gesetzt, wovon der erste schon zum Saisonauftakt in Dortmund erfolgen könnte. „Es ist alles ein bisschen größer als in Bielefeld“, fasst Friedrich seine Eindrücke von Hertha und der Hauptstadt zusammen, aber die Integration scheint problemlos zu klappen.

Ob das bei Luizao auch der Fall sein wird, muss sich zeigen. „Die Integration ist natürlich nicht unwichtig, aber es hängt auch viel von der Person selbst ab“, sagte Mittelfeldmann Rob Maas zum Thema, um nachzulegen, dass „die Mannschaft dem Neuen offen gegenübersteht“. Hört sich nach klarer Aufgabenverteilung an: Luizao muss sich reinhängen. Das gilt natürlich auch für den sportlichen Bereich.

Neben Luizao stehen Preetz und Alex Alves für die Offensivabteilung parat, bei Bedarf ergänzbar durch Trond Fredrik Ludvigsen und anderen Nachwuchsspielern. Coach Huub Stevens, ein erklärter Freund eines Zwei-Mann-Sturms, hat die Qual der Wahl, wobei es schwer vorstellbar ist, dass er den bewährten Spielführer Preetz auf der Bank schmoren lässt. Bleibt die Frage, wer sich von den zwei Brasilianern in der Spitze durchsetzen wird. MARCUS VOGT