Von der Kriegsplage verschont


aus Helban KARIM EL-GAWHARY

Gäbe es so etwas wie das Ende der Welt, es läge wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe des kleinen Ortes Helban. Erreichbar ist die Ansiedlung in den Nuba-Bergen im Zentralsudan nur mit einem halbstündigen Flug per Hubschrauber von Kadugli aus, der „Hauptstadt“ der Provinz Südkordofan. Aber selbst von dort sind es noch sechs beschwerliche Autostunden über eine ungeteerte Piste bis zur nächsten Asphaltstraße, die nach Khartoum und damit zum Rest der Welt führt. Strom gibt es in der von Hügeln durchzogenen Savannenlandschaft keinen, dafür aber Krankheiten aller Art. In der Trockenzeit verteilt der Wind die verheerenden Meningitiserreger, und in der neunmonatigen Regenzeit, in der die Hälfte des Landes unter Wasser steht, brüten die Malariamücken.

Es war der seit 15 Jahren in den Nuba-Bergen herrschende Bürgerkrieg, der diesem vergessenen Ort am meisten zu schaffen machte; unmittelbar am Rande des Dorfes verläuft die Frontlinie zwischen der arabischen Welt und Schwarzafrika, also dem von der arabisch-islamischen Regierung in Khartoum kontrollierten Gebiet und jenem Teil des Landes, in dem die Rebellenbewegung SPLA für einen selbstbestimmten afrikanischen Südsudan kämpft. Zumindest von der Kriegsplage sind die Einwohner Helbans jetzt vorübergehend verschont. Seit über einem halben Jahr schweigen die Waffen, nachdem sich die Bürgerkriegsparteien im Januar in der Schweiz unter Vermittlung der USA auf einen allerdings nur auf die Nuba-Berge begrenzten Waffenstillstand geeinigt haben.

Im restlichen Südsudan wird unterdessen ohne Unterbrechung weiter gekämpft. Es ist ein vergessener Krieg, obwohl es sich um den am längsten andauernden militärischen Konflikt Afrikas seit dem Zweiten Weltkrieg handelt und einen der mörderischsten dazu: Mehr als zwei Millionen Menschen sind dem Waffengang an einem der entlegensten Winkel der Welt zum Opfer gefallen, vier Millionen Menschen wurden Flüchtlinge im eigenen Land. Wie viele darunter in den Nuba-Bergen getötet und vertrieben wurden, darüber hat niemand genau Statistik geführt. Heute sollen 1,2 Millionen Menschen dort leben.

Anders als im weiterhin umkämpften Südsudan spielen in Helban heute die Kinder auf den primitiven Bunkeranlagen, die von der sudanesischen Armee geräumt worden sind. „Nun können wir auch wieder die Mangos auf dieser Seite ernten“, sagt der 63-jährige Schuldirektor Kuku Moyar und deutet auf die Hügel am Dorfrand, von denen aus die SPLA operierte. Es gibt zwar noch ein Problem mit den Minen, die die sudanesische Armee zur Verteidigung ihrer Stellungen gelegt hatte. Aber die Dorfbewohner haben offenbar ein paar sichere Pfade ausfindig gemacht.

Wie der Schuldirektor scheinen alle Dorfbewohner heilfroh zu sein, dass der Krieg erst einmal vorbei ist. Die Armee ist weg, stattdessen patrouillieren jetzt Einheiten der sudanesischen Polizei, bewaffnet mit langen Stöcken, zwischen den nach Futter suchenden Ziegen auf den staubigen Dorfstraßen. Die Spuren des Krieges sind noch überall sichtbar. Etwa in der ehemaligen Mittelschule, in der vor sieben Jahren eine Mörsergranate einen Teil des Dachs zerfetzt hatte.

Waffenruhe mit Modellcharakter

In der Grundschule zeigen sich auch die Probleme, mit denen Moyar in der Nachkriegszeit zu kämpfen hat. Krieg und Schulpflicht passen nicht zusammen. Eine ganze Generation hat, wenn überhaupt, dann nur sporadisch die Schulbank gedrückt. Fast die Hälfte aller Grundschulkinder besuchen jetzt als Abc-Schützen die erste Klasse, auch wenn sie vom Alter her viel höher eingestuft werden müssten. Klassenzimmer sind Mangelware, dafür gibt es rund um das Schulhaus viele Bäume. So sitzen fast 80 Erstklässler im Schatten eines vor langer Zeit gepflanzten Laubbaums vor der an den Stamm gelehnten Tafel und teilen sich gerade einmal ein halbes Dutzend Schulbücher, während der Lehrer verzweifelt versucht, ihre Konzentration auf die Tafel zu lenken.

Gegen UN-Beobachter hatte sich die Regierung in Khartoum gewehrt. Geeinigt hatte man sich dagegen auf eine bunte Truppe aus sechs ausländischen Militärs und 20 Zivilisten aus Norwegen, den USA, Großbritannien, der Schweiz, Schweden, Frankreich, Holland und Dänemark, die unter dem Namen Joint Military Commission (JMC) den Waffenstillstand in den Nuba-Bergen überwachen soll – auf einem Territorium, das etwa der Fläche Österreichs entspricht. Stolz ist man im JMC-Hauptquartier in Kadugli auf die gute Zusammenarbeit mit beiden Seiten und darüber, dass bisher kein ernsthafter Bruch des Waffenstillstandes zu vermelden ist. Am 4. Juni ist die Mission des JMC in allseitigem Einvernehmen um weitere sechs Monate verlängert worden.

Zweiter Mann in der JMC-Hierarchie ist der etwas steif wirkende britische Colonel Symonds. Er hatte vor seiner Rente zwei Angebote: im US-Hauptquartier in Tampa in Florida als US-Alliierter mitzuhelfen, Kriegspläne gegen Saddam Hussein zu schmieden, oder ins tiefe Afrika zu reisen, um einen Waffenstillstand zu überwachen. Symonds scheint mit seiner Wahl zufrieden. „Bevor wir hier waren, haben sich die Menschen abends nicht mehr auf die Straße getraut. Jetzt können sie ihr Leben wieder aufbauen“, fasst er den Erfolg seiner Mission zusammen. Für ihn ist dieser Waffenstillstand, wie er sagt, „ein Test, eine Art Modell, das vielleicht einmal für den ganzen Südsudan anwendbar ist.“

Vor allem die Regierung in Khartoum kann gut mit den jetzt befriedeten Nuba-Bergen leben. Trotz des nicht vorhandenen Verkehrs auf der Pistenstraße vor dem JMC-Hauptquartier melden die Autosirenen die Ankunft des Konvois mit dem Gouverneur der Provinz Südkordofan an. Die Botschaft des auf seinen Status bedachten, aus Khartoum entsandten Bürokraten ist klar. Vorauseilend spricht „Seine Exzellenz“, Yussuf Madzub, statt vom Waffenstillstand schon jetzt gerne vom Frieden. In einer Frage ist für ihn aber kein Irrtum möglich. Die Nuba-Berge, so sagt er, seien eindeutig Teil des arabischen Nordens.

Diskriminierung durch Khartoum

Ein Standpunkt, gegen den man sich auf Seiten der SPLA heftig wehrt. Hinter den Mangobäumen und den Bergen liegen das Dorf Kauda und das lokale Hauptquartier der SPLA. Auch hier war vor zwei Jahren eine Schule zerstört worden. 14 Kinder waren umgekommen, als ein sudanesischer Antonow-Bomber seine Fracht über Kauda abwarf.

Entspannt lehnt der SPLA-Kommandeur der vierten Front, Ismail Khamis Jallub, an einen Baum und erklärt seine Sicht der Dinge. Der Kommandeur, geborener Nuba, der einst an der Militärakademie in Khartoum studiert und in den ersten Bürgerkriegsjahren auf Seiten der sudanesischen Armee gekämpft hat, bezeichnet sich selbst als liberaler Muslim. „Wir haben gekämpft, weil die Nuba, ob Muslime, Christen oder Animisten, von Khartoum marginalisiert und diskriminiert wurden“, sagt er.

Jahrelang hatten die Vertreter der Nuba versucht, in Khartoum angemessen vertreten zu werden. Im Südsudan kämpfte die SPLA bereits vier Jahre militärisch gegen den Norden, da gab ein Teil der Nuba-Führung den politischen Kampf um Repräsentation auf und schloss sich militärisch der SPLA an, um sich vom Norden abzuspalten. „Von Frieden“, sagt Kommandeur Ismail, „kann heute noch keine Rede sein.“ Dem jetzigen Waffenstillstand habe die SPLA nur aus humanitären Gründen zugestimmt. Keines der politischen Probleme sei gelöst. Nun hoffe die SPLA, dass der Waffenstillstand eine Atmosphäre des Vertrauens schaffe, in der dann die politischen Probleme gelöst werden könnten. „Wenn das nicht geschieht, werden wir wieder zu den Waffen greifen.“

Selbst in der von der Regierung in Khartoum kontrollierten Teil der Nuba-Berge ist die ein oder andere vorsichtige Kritik an der Regierung im Norden zu vernehmen. Afaf Aba Ismail kommt aus den Nuba-Bergen und hat in Khartoum Englisch studiert. Nun ist sie zurückgekommen und organisiert in einer lokalen Frauenorganisation Theaterstücke, mit denen sich beide Seiten wieder näher kommen sollen. Aber auch sie gibt zu, dass die Nuba-Berge nicht ausreichend in Khartoum repräsentiert sind, und findet es schlecht ist, dass ein außenstehender Gouverneur von Khartoum geschickt wird. „Wir wollen unsere Geschicke selbst in die Hand nehmen“, sagt sie und weist darauf hin, dass die Regierung den Waffenstillstand bisher nicht genutzt habe, die vollkommen vernachlässigte Region zu entwickeln. Bis heute würden immer noch Schulen von den Militärs als Kasernen missbraucht. Außerdem befürchtet sie, werde die Regierung den Waffenstillstand dazu nutzen, die Nuba-Berge weiter zu arabisieren.

Der Chef der Waffenstillstandsbeobachter, der norwegische Brigadegeneral Wilhelmsen, hofft jetzt, dass Hilfsorganisationen ihn unterstützen, die Infrastruktur aufzubauen, damit die Bewohner der Nuba-Berge neben dem Schweigen der Waffen, wenn schon nicht politische, so wenigstens andere positive Folgen des Waffenstillstands kennen lernen. Dringend nötig sei etwa der Bau von Straßen. Bei jedem von der JMC koordinierten Hilfsgüterflug gehen 85 Prozent der aufgewendeten Mittel an die Fluggesellschaft, hat er ausgerechnet.

Der Himmel über den Nuba-Bergen ist mit dem Waffenstillstand jedenfalls etwas komplexer geworden. Fortan kreuzen dort zwei Arten von Flugzeugen. Jene, die, wie im Waffenstillstand vereinbart, humanitäre Hilfe in die Berge transportieren, und jene, die weiter in den Süden fliegen, um ihre tödliche Bombenfracht auch weiterhin auf SPLA-Gebiete außerhalb der Nuba-Berge abzuwerfen. Beide kommen aus dem Norden.