grüne nach özdemir
: Verlust einer Symbolfigur

Nur mühsam gelingt es den Grünen, sich über den Schock hinwegzutrösten. „Ein Verlust“ sei der Rücktritt Cem Özdemirs, sagt Parteichef Fritz Kuhn knapp. Manch ein Hinterbänkler, der nicht ohne Neid auf den Medienliebling schaute, lässt klammheimliche Schadenfreude erkennen. Andere blicken schon wieder nach vorne und weisen darauf hin, dass es auch ohne Özdemir genügend innenpolitischen Sachverstand in der Fraktion gebe.

Kommentarvon RALPH BOLLMANN

Doch für die Grünen geht es nicht um den Verlust irgendeines Abgeordneten. Özdemir ist ein Politiker, der gleich in mehrfacher Hinsicht ein Symbol ist. Nicht allein, dass er die Erfolgsgeschichte eines Einwandererkindes verkörpert. Er ist dadurch auch einer der wenigen, wenn nicht der einzige grüne Jungpolitiker mit einem erkennbaren Profil. Und er präsentiert sich medial auf eine Weise, die viel dazu beitrug, das zusehends verstaubte Image der Grünen aufzupolieren.

Der Verlust wiegt umso schwerer, als im Wahljahr 2002 schon eine ganze Reihe grüner Karrieren beendet wurden. Was Özdemir durch eigene Fehler zuwege brachte, besorgten in anderen Fällen die Delegierten beim Aufstellen der Landeslisten. Die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer, der profilierte Haushaltspolitiker Oswald Metzger und die Wehrexpertin Angelika Beer werden dem Bundestag nicht mehr angehören, dem Altlinken Christian Ströbele bleibt nur noch die kleine Hoffnung auf ein Direktmandat.

Die Grünen taten das ganze Jahr über gerade so, als hätten sie qualifiziertes Personal im Überfluss, als müssten sie sich um die Förderung von Talenten keine Sorgen machen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Niemand weiß, wer die Generation der Mittfünfziger um Rezzo Schlauch oder Joschka Fischer eines Tages beerben soll.

Das neue Personaltableau bedeutet eine programmatische Verengung, die der grünen Führungsriege durchaus gelegen kommt. Mit dem behutsam modernisierten Image einer Ökopartei will sie künftig Wahlen gewinnen, regierungstreu und familienfreundlich. Da ist es besser, die Störenfriede auf den Parteiflügeln los zu sein.

Die Quittung für diese kurzsichtige Strategie könnten die Grünen schon am 22. September präsentiert bekommen. Eine Partei ohne Flügelstreit ist zwar leichter zu führen. Aber breite Wählerschichten lassen sich nur durch ein breites, oft auch widersprüchliches Personaltableau binden.