sommerkrimi

Biedermann Folge 9

George legte die Jacke wieder über das kleine Glas-Dreieck und stieß es vorsichtig aus dem Rahmen. Mit einem Griff öffnete er die Balkontür und schob Lennie in Novitzkis Küche. Er warf noch einen Blick in den Hinterhof und schloss dann hinter sich die Tür.

„Mann, ist das ein Siff!“

George ging einmal durch alle Räume.

„Lennie, nimm dir ‘nen Stuhl und setz dich auf den Flur. Gib mir Bescheid, wenn er kommt. Aber leise, hörst du? Ich filze mal ganz gründlich seine Bude. Wenn wir hier‘n Sack mit Knete finden, brauchen wir nicht mehr lange betteln.“

Lennie trottete mit einem Stuhl bewaffnet auf den Flur und setzte sich. Eine halbe Stunde später hatte George alles durchsucht.

„Nichts. Nur Plunder. Nicht mal was zum Verscherbeln.“

Er ging ins Wohnzimmer und ließ sich in die Sitzecke fallen.

„Ich muss mal scheißen!“ ließ Lennie vernehmen und suchte das Bad.

„Echt interessant, Alter!“

Lennie lachte unsicher und schloss die Tür hinter sich.

Der Mann stutzte. Die Fußmatte hing halb über der ersten Treppenstufe. Er schob sie unwillig mit dem rechten Fuß an ihre ursprüngliche Position vor die Eingangstür und holte den Schlüssel aus der Tasche. Plötzlich hielt er inne. Hatte da nicht jemand gesprochen? Klang fast wie „... muss mal scheißen.“ Da waren doch Leute in der Wohnung! Er ging die halbe Treppe wieder herunter, öffnete leise die Tür zum Hinterhof und ging an der linken Seite des Hofes bis unter die Eichen. Hier hatte er Sicht durch alle Räume, wenn die Türen geöffnet waren und die Sonne nicht auf den Fenstern stand. Da! Er war sich ganz sicher. Jemand hatte die Wohnzimmertür aufgemacht. Für einen kurzen Moment schien das Licht von der Straßenseite durch. Na wartet.

*

9.30 Uhr

Pieter Lund stand am Fenster in seinem Büro und blinzelte in die Sonne. Wunderschöner Tag. Vielleicht kam er doch noch, der Altweibersommer. Er setzte sich an den Schreibtisch und ging noch einmal den Bericht durch, den er Niemöller am Montag gegen Mittag geschickt hatte. Achmed Salhab, Rabih Salhab, Ghassan Mroueh, Aouni Kawas, Mohammed Gibran. Und dieser Gerd Novitzki. Was in Gottes Namen machte der dazwischen? Fünf Araber und ein Deutscher. Fünf Moslems und ein Christ. Fünf Typen Mitte zwanzig und ein 46-Jähriger. Fünf Studenten und ein Sozialarbeiter. Das machte alles irgendwie keinen Sinn. Heute Vormittag um 12 Uhr sollte zugegriffen werden. Vor wenigen Minuten hatte Niemöller ihn angerufen. Er hatte sich mit Mailand kurzgeschlossen. Die Aktion lief europaweit exakt zum gleichen Zeitpunkt.

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus