Schablonen-Wahl
: Nichts hören, nichts sehen – macht nichts

Gleichstellung konkret

Für Sehbehinderte und Gehörlose sind neue Zeiten angebrochen: Bundesbehörden müssen ab sofort die „Verständigung sicherstellen“ – auch wenn ihre Kunden blind oder taub sind. So steht es in der Kommunikationsverordnung des Bundesgleichstellungsgesetzes, die jetzt in Kraft getreten ist. Gehörlosen muss jetzt ein Gebärdensprachen-Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden, für Blinde gilt: Entweder sie bekommen die Dokumente in Brailleschrift vorgelegt, oder jemand liest sie ihnen vor.

Nur: Weitaus häufiger als mit Bundesbehörden haben die BürgerInnen mit kommunalen oder Landes-Behörden zu tun. Beim Gang zum örtlichen Sozial- oder Einwohnermeldeamt aber müssen Blinde und Gehörlose auch weiterhin eigene Vertrauenspersonen mitbringen, die sie durch Behördendschungel und Formularwirrwarr lotsen. Die Länder sind lediglich aufgefordert, dem Beispiel der Bundesbehörden zu folgen. In Bremen soll es Anfang nächsten Jahres so weit sein.

Derzeit gibt es in Bremen rund 300 taube Menschen. Eine Grundversorgung kann ihnen schon jetzt geboten werden. Ein Übersetzerpool, verwaltet vom Landesverband der Gehörlosen, sorgt dafür, dass ihnen zumindest bei den wichtigsten Terminen qualifizierte Dolmetscher zur Seite stehen – etwa bei einem Rechtsanwaltsbesuch. Die 10.000 Euro, die das Land Bremen dem Gehörlosen-Verband dafür jährlich zur Verfügung stellt, reichen allerdings gerade mal für einen Einsatz pro Jahr für jeden Gehörlosen. Für den Übersetzer beim Arztbesuch zahlt bereits seit Juli 2001 die Krankenkasse, und auch das Arbeitsamt arbeitet schon auf eigene Kosten mit Gebärdendolmetschern zusammen.

Für die etwa 3.000 Blinden und Sehbehinderten in Bremen sieht die Situation hingegen weniger gut aus. Einrichtungen wie den Übersetzerpool für Gehörlose gibt es für sie nicht. Sie sind allein auf Vertrauenspersonen angewiesen. Auch die Umsetzung der Kommunikationsverordnung gestaltet sich hier wesentlich schwieriger. Nicht jedes Dokument kann in Blindenschrift übertragen werden. Stattdessen setzt man bei der Stadt auf das Internet. So sollen etwa komplette Broschüren ins Netz gestellt werden. Ein Spezial-Computer könne sie dann vorlesen, erklärt Jörg Hensche, der die Ausarbeitung des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes betreut.

Eine Premiere feiern können die Sehbehinderten auch bei der Bundestagswahl. Erstmals können sie im ganzen Bundesgebiet ohne fremde Hilfe ihre Stimme abgeben – eine Wahlschablone macht’s möglich. Die Namen der Kandidaten und Parteien sind darauf so groß geschrieben, dass selbst Sehbehinderte sie lesen können. „Das bedeutet mehr geheime Wahl“, erklärt Karl-Heinz Weiser vom Bremer Blinden- und Sehbehindertenverein. Allerdings rechnet er damit, dass nur etwa 15 bis 20 Prozent der Betroffenen die Schablone nutzen werden. Denn die Hemmschwelle ist groß. Der weitaus größte Teil der Blinden, ist er überzeugt, werde daher seine Stimme auch dieses Mal mit Hilfe einer Vertrauensperson abgeben. Trotzdem sollen die Schablonen in Bremen auch bei der Landtagswahl wieder zum Einsatz kommen. Verena von Ondarza