Pillenwechsel soll zu schwierig sein

Die Pharmaindustrie kämpft gegen Ulla Schmidts Arzneimittel-Regelung – mit merkwürdigen Mitteln

BERLIN taz ■ Eigentlich sollte es seit dem 23. Februar ja rote statt grüne Pillen in der Apotheke geben. Oder braune statt weiße. Jedenfalls nicht unbedingt die, die man sonst bekommen hat. „Aut idem“ (Latein für „oder das gleiche“) heißt die Regelung im Arzneimittelsparpaket der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), wonach der Arzt nicht mehr ein Medikament, sondern einen Wirkstoff verschreibt.

Der Apotheker soll dann das Mittel herausgeben, das aus dem „unteren Preisdrittel“ stammt – also nicht so teuer ist. 230 Millionen Euro allein in diesem Jahr, hofft Schmidt, sollen die Kassen durch aut idem einsparen können..

Und jetzt das: „Chaos in den Praxen“ beschwören freie Ärzteverbände herauf. Denn noch haben sich Kassen und Ärzte nicht auf eine Liste mit substituierbaren Arzneien geeinigt, und die Ärzte machen lieber weiter wie bisher: kein aut idem. Egal ist ihnen der Umstand, dass aut idem in aller Welt erfolgreich praktiziert wird.

Auch die Kassenärztliche Vereinigung behauptet, dass ausgerechnet die Patienten, deren Medikamente die Kassen so belasten, nämlich Alte und Chroniker, verwirrt sind und ihrem Arzt nicht mehr vertrauen würden. „Wir glauben, dass aut idem eher bei akuten und kurzfristigen Erkrankungen – Grippe zum Beispiel - funktioniert“, sagt der Sprecher des Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl. Die KBV findet, dass „das Problem der Haftung noch ungeklärt ist“: Was, wenn es zu unerklärten Nebenwirkungen wegen eines falsch herausgegebenen Medikaments komme?

Genau an diesem „Juckepunkt“ (Stahl) kratzt jetzt auch die Pharmaindustrie: Sie macht sich die unterstellte Rechtsunsicherheit zunutze, um sich ihre Einnahmen zu sichern.

Die Darmstädter Firma Merck etwa schrieb an die Ärzte in einem der taz vorliegenden Brief, sie würden Haftungsfragen und „Diskussionen mit dem Patienten vermeiden“, wenn sie weiterhin Merck-Produkte verschrieben statt eines Wirkstoffs. Sonst, droht das Unternehmen etwas vage, „wird Merck die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um auch weiterhin die Abgabefähigkeit unserer Arzneimittel (…) zu gewährleisten“.

Aut idem werde „gegen die Wand fahren“, kündigte der neue Chef des im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) zusammengeschlossenen Pharma-Mittelstands, Henning Fahrenkamp diese Woche an.

Wie sich seine Branche das vorstellt, davon zeugen Unterlagen eines Vortrags einer Bonner Anwaltskanzlei beim BPI: Unter dem Punkt „Umgehungsstrategien“ empfahl der Jurist etwa: „Schaffung neuer Packungsgrößen, die eine Substitution nicht zulassen“. Denn aut idem gilt nur für identische Größen.

„EU-weit sind aber andere Größen zugelassen, als hierzulande bislang üblich“, erklärte der Anwalt Claus Burgardt der taz. „Das lässt sich ausnutzen“. Eine weitere Empfehlung: „Neueinführung besonders preisaufwändiger Dubletten oder Generika“. Um das „untere Preisdrittel“ anzuheben, solle die Industrie Mittel zu „Mondpreisen“ auf den Markt werfen. „Wie leicht das Gesetz auszuhebeln ist, beweist, dass es nichts taugt“, sagte Burgart. Eine „merkwürdige Beweisführung“ findet das ein Sprecher Schmidts. Das Ministerium werde juristische Schritte – Stichwort „Sittenwidrigkeit“ einleiten, sobald Unternehmen diesen Empfehlungen folgten.ULRIKE WINKELMANN