Der Notstand hat System

Die Kontrolle des knappen Wassers sichert der Mafia Geld und Einfluss – bis heute

Kaum ein Land kümmert sich so fürsorglich um die Wasserversorgung seiner Bürger wie Italien. Etwa 170 Behörden, dazu stolze 8.000 Betreibergesellschaften und zu allem Überfluss noch diverse Notstandskommissare – eigentlich dürfte das Wasser kein Problem sein. Erst recht nicht angesichts der Tatsache, dass in den Achtzigerjahren mit Milliardenaufwand neue Stauseen entstanden. An die 800 Millionen Euro kostete der Spaß allein in Sizilien.

Doch so zahlreich die Menschen sind, die dank des Wassers Lohn und Brot finden – allein die Zahl der Verwaltungsratsmitglieder in den diversen Gesellschaften wird auf mindestens 24.000 geschätzt –, so lustlos gehen die Wasserwerke an ihren Job. Die kommunalen Leitungsnetze stammen aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. In die Instandhaltung wird seit Jahren kaum ein Cent investiert. Das ginge manchmal auch gar nicht: In Agrigent zum Beispiel liegen nicht einmal Lagepläne des Versorgungsnetzes vor. Im Schnitt versickern 40 Prozent des Wassers in den maroden Leitungen, in Süditalien sind es bis zu 60 Prozent.

Kein Zufall: Statt die lecken Netze zu flicken, investierten Roms Regierungen lieber in milliardenschwere Großprojekte. Beim Bau neuer Staudämme fielen Schmiergelder ab, Wahlstimmen aus den mit den Aufträgen bedienten Klientelnetzwerken – und so mancher Deal mit der Mafia. Heute stehen die Staudämme nutzlos herum. Risse schon während der Bauarbeiten oder ein viel zu hoher Anteil von Sand im Zement vereitelten technische Abnahme und Betriebsgenehmigung. Der Stausee von Rosamarina bei Caccamo ist dagegen bis zum Rand gefüllt – und liefert dennoch keinen Tropfen Wasser. Bei der Errichtung durch ein mafianahes Unternehmen „vergaß“ man schlicht den Bau von Leitungen, die den See ans Versorgungsnetz angeschlossen hätten.

So hat die Mafia doppelt den Nutzen: Erst hat sie am Bau kräftig verdient, und dann profitiert sie vom Wassernotstand. Eine der historischen Wurzeln der Mafia war die Kontrolle des knappen Wassers. Noch heute verhilft die Verwandlung des öffentlichen Guts in ein Monopolprodukt zu schwunghaften Geschäften im privaten Wasserhandel – und zu sozialer Kontrolle durch die Mafia: Wer nicht spurt, kriegt kein Wasser.

Schon vor acht Jahren wurde ein Gesetz verabschiedet, das endlich Italiens Wasserversorgung auf Vordermann bringen sollte. Mit den Versorgungsgesellschaften als Klientelmaschinen sollte Schluss sein. Doch noch heute existieren bis auf wenige Ausnahmen die 8.000 Klitschen – gerade einmal vier Neuausschreibungen haben in ganz Italien bisher stattgefunden.

Jetzt endlich soll Geld in die Instandhaltung der Netze fließen, die Regierung verspricht fünf Milliarden Euro in fünf Jahren. Viel Geld – und doch viel zu wenig. Fulvio Vento, Chef der römischen Stadtwerke, schätzt einen Bedarf von 50 Milliarden Euro für eine umfassende Modernisierung im ganzen Land.

Aber die Regierung hat andere Prioritäten. So liegt ihr – und der Mafia – die Brücke vom Festland nach Sizilien am Herzen. Kostenpunkt mindestens sechs Milliarden Euro. Und die Chance, jede Menge Geld für kriminelle und politische Clans abzugreifen.

MICHAEL BRAUN