BERLUSCONI DEFORMIERT ITALIENS JUSTIZ – UND WILL ABSOLUTE IMMUNITÄT
: Befreier in eigener Sache

Als wahrer Befreier präsentierte sich Silvio Berlusconi in den letzten Jahren den Italienern, als kühner Kämpfer gegen die „Politikaster“ aus den alten Parteien, die abgehoben vom großen Rest des Landes angeblich nur den eigenen Interessen zugetan waren. Doch der Mann, der sogar plant, sich nach einer dazu notwendigen Verfassungsänderung direkt zum Staatspräsidenten wählen zu lassen, lässt die frühere Garde aus Christdemokraten und Sozialisten weit hinter sich, wenn es um die Pflege persönlicher Interessen geht.

Seit Jahren führt der Mann einen Freiheitskampf in eigener Sache: gegen die Richter in Mailand, die ihm partout den Prozess machen wollen. Fast im Monatsrhythmus muss sich Italiens Parlament mit Gesetzen befassen, die nur ein Ziel haben: Berlusconi rauszupauken. Es begann mit dem Gesetz, das das Delikt Bilanzfälschung zur Bußgeldsache herabstufte – und Berlusconi die Einstellung von gleich drei Prozessen eintrug. Und es soll nun weitergehen mit einer Änderung der Strafprozessordnung, die auch den letzten noch laufenden Prozess zum Scheitern bringen würde. Berlusconi schafft sich so eine Justiz für den Hausgebrauch, von der die vorgeblichen Tyrannen der Altparteien nicht einmal zu träumen wagten. Und er kodifiziert sein gar nicht groß verheimlichtes Verlangen, über dem Gesetz zu stehen. Schließlich – so Berlusconis Logik – haben die Wähler klar für ihn und damit gegen die Mailänder Richter entschieden. Die höheren Weihen erhält das Fummeln am Recht so als Verwirklichung des Volkswillens.

Praktisch aber geht’s nur um die Freiheit Berlusconis und seiner Kumpel, sich strafrechtlicher Verfolgung zu entziehen. Letzten Endes träumt Italiens starker Mann von der schier unaufhebbaren Immunität – und beim Träumen muss er es wohl nicht belassen: Der passende Gesetzentwurf, der alle Parlamentarier grundsätzlich vor Strafverfolgung schützen soll, liegt auch schon vor. Bliebe nur die Renovierung der in allen italienischen Gerichtssälen angebrachten Inschrift: „Gleiches Recht für alle“. „Fast alle“ wird dort wohl in Zukunft stehen müssen. MICHAEL BRAUN