Allzweckwaffe Justiz

In Italien soll künftig der Gerichtsstand für einen Prozess verlegt werden können. Damit will vor allem Premier Silvio Berlusconi seine Haut retten

aus Rom MICHAEL BRAUN

Erneut versucht Italiens Rechtskoalition, auf gesetzgeberischem Wege die juristischen Probleme ihres Chefs Silvio Berlusconi zu lösen. Heute, spätestens morgen, soll im Senat eine Modifikation der Strafprozessordnung verabschiedet werden, nach der Angeklagte die Verlegung ihres Prozesses in eine andere Stadt beantragen können, wenn sie den „legitimen Verdacht“ hegen, dass am eigentlichen Gerichtsstand die Unparteilichkeit der Richter nicht gewährleistet ist.

Um das Gesetz noch vor den am Wochenende beginnenden Parlamentsferien durchbringen zu können, hat die Regierungsmehrheit ihren Entwurf in den letzten Tagen in einem wahren Schweinsgalopp durch den Rechtsausschuss des Senats gepaukt und im Ältestenrat die Änderung der Tagesordnung für den heutigen Mittwoch durchgesetzt. Eilig hat es die Berlusconi-Koalition auch mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes: Statt wie üblich 15 Tage nach der Veröffentlichung in der Gazzetta Ufficiale soll es schon einen Tag später zur Anwendung kommen.

Die Hast ist erklärlich: Auch wenn der Forza-Italia-Fraktionsvorsitzende im Senat erklärte, es gehe um den Schutz „aller Bürger“, liegt ihm wohl eher das Schicksal seines Chefs und einiger Berlusconi-Buddys am Herzen. Im Herbst gehen in Mailand zwei Prozesse in die Schlussrunde, in denen der unschöne Anklagepunkt Richterbestechung verhandelt wird. In einem Prozess ist Berlusconi unter den Angeklagten, in beiden Verfahren muss sich Cesare Previti verantworten, jahrelang als Rechtsanwalt mit Berlusconis Geschäften befasst und heute Abgeordneter von Forza Italia.

In Mailand setzte die Verteidigung bisher auf eine zermürbende Verzögerungsstrategie und versuchte sie mit immer neuen Befangenheitsanträgen oder dem Verlangen, gleich 2.000 Zeugen vorzuladen, den Urteilsspruch hinauszuschieben. Einer ihrer Anträge argumentierte, Mailand sei als Gerichtsstand wegen des „den Angeklagten feindlichen Klimas“ nicht zuzumuten. Deshalb müsse das Verfahren nach Brescia ausgelagert und ganz neu aufgerollt werden.

Zitiert wurde auch ein Bänkelsänger, der auf dem Mailänder Domplatz despektierliche Lieder über Berlusconi zum Besten gegeben hatte. Als der Kassationsgerichtshof jenen Antrag abgeschmetterte, handelte die Rechtskoalition nach bewährtem Schema: Sie schafft mit ihrer Mehrheit den nötigen Paragrafen, der auf jeden Fall zur finalen Allzweckwaffe Berlusconis wird. Entweder erreichen seine Anwälte die Verlegung des Prozesses – oder sie bombardieren das Gericht mit immer neuen Verlegungsanträgen. Bis zur Entscheidung muss der Prozess – so ein weiterer Artikel des Gesetzes – unterbrochen werden.

Entsprechend scharf sind die Reaktionen der Opposition. Die Mitte-Links-Parteien wollen mit allen Mitteln des parlamentarischen Obstruktionismus versuchen, die schnelle Verabschiedung zu verhindern. Rückendeckung erhalten sie auf der Straße. Am Montag versammelten sich etwa 1.000 Demonstranten vor dem Senat, um gegen das Gesetz zu protestieren.