Wer versicherte die NS-Opfer?

Noch in diesem Sommer soll es ein Abkommen darüber geben, wie Opfer des Nationalsozialismus dafür entschädigt werden, dass ihnen Versicherungsleistungen entgangen sind. Doch die „Eagleburger-Kommission“ hat noch diverse Nüsse zu knacken

von CHRISTIAN SEMLER

Die Zwangsarbeiter sehen endlich Land. Aber bei der Entschädigung von Versicherungspolicen von NS-Opfern, die ebenfalls von der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ übernommen wurde, hakt es nach wie vor.

Partner der Stiftung ist die „Eagleburger-Kommission“, benannt nach dem ehemaligen stellvertretenden US-Außenminister, an der Vertreter der Versicherungswirtschaft, der Opfer und des Staates Israel teilnehmen. Die Materie ist reichlich kompliziert, wie der Unterhändler der Bundesstiftung, der Elder Statesman Hans-Otto Bräutigam glaubhaft versichert. Soeben ist er von einer neuen Verhandlungsrunde aus den USA zurückgekehrt. Er hofft, noch in diesem Sommer ein dreiseitiges Abkommen zwischen dem Gesamtverband der Versichungswirtschaft, dem 98 Prozent der Versicherer angehören, der Eagleburger-Kommission und der Bundesstiftung zustande zu bringen.

Im Wesentlichen geht es um die Lösung von drei Problemen. Erstens darum, inwieweit die Versicherungen, die Mitglied der Eagleburger-Kommission sind, ihre bisherigen Beiträge für die Kosten der Eagleburger-Kommission auf das Stiftungsvermögen anrechnen können. Eine brisante Frage, denn die Verwaltungskosten der Kommission stehen mindestens im Verhältnis zehn zu eins zu den bisher ausgezahlten Policen.

Bei dem zweiten Problem geht es um den Charakter des zukünftigen Abkommens. Soll es die Verpflichtungen der Versicherungswirtschaft abschließend regeln oder sollen noch weitere Ansprüche möglich sein? Das dritte Problem betrifft die guidelines, das heißt die Berechnungsgrundlagen für die geschädigten Versicherungsnehmer. Zum Beispiel: Wer zahlt, wenn während der Nazi-Zeit die Versicherungen zwar auszahlten, aber das Konto anschließend gesperrt wurde? Formal sind damit die Versicherungsunternehmen salviert. Werden solche Zahlungen über einen humanitären Fonds bei der Eagleburger-Kommission abgewickelt werden, und wenn ja, in welcher Höhe?

Die Richtlinien der Kommission sehen relativ milde Anforderungen für die Glaubhaftmachung von Ansprüchen vor. Orginalpolicen müssen nicht beigebracht werden, es reichen Behörden- oder Bankenvermerke. Wie aber, wenn die Erben eines Versicherungsnehmers zwar wissen, dass ihre Eltern eine Versicherung abschlossen, aber nicht mehr den Namen des Unternehmens nennen können? Hans-Otto Bräutigam hat jetzt ein Verfahren vorgestellt, nach dem die Gesamtzahl der Versicherungsnehmer im Deutschen Reich im Stichjahr 1938 den damaligen jüdischen Einwohnern Deutschlands gegenübergestellt wird und dann qua Computer ein Datenabgleich stattfindet. Auch dieses aufwändige Verfahren wird sich als lückenhaft erweisen, denn viele Aktenbestände sind infolge der Kriegszerstörungen verloren gegangen, und es ist unklar, ob die heutigen Versicherungsunternehmen den Verbleib der damaligen Akten kennen, und wenn ja, ob sie sie herausrücken werden.

Wie viele Inhaber oder Erben von Policen werden schließlich anerkannt werden? Die Versicherungswirtschaft, die auf ihre Erstattungen im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes verweist, meint, höchstens ein paar tausend.

Bei der Eagleburger-Kommission sind 80.000 Anfragen eingegangen, wobei allerdings in 95 Prozent der Fälle der Name der Versicherung nicht genannt werden konnte. Leider wird es nicht möglich sein, Überschüsse aus dem entsprechenden Fonds der Bundesstiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeitern umzuleiten.