özdemir, gysi & co.
: Die Empörung frisst sich selbst

Özdemir ist schon zurückgetreten. Gysi sollte auch gehen. Am besten ist, alle 300 Bundestagsabgeordneten, die Bonusmeilen privat verflogen haben, nehmen gleich mit ihren Hut. Und wenn wir schon mal dabei sind, können die restlichen Abgeordneten auch noch ihr Mandat zurückgeben. Sind sowieso alle korrupt. Oder geldgeil. Oder faule Säcke.

Kommentar von JENS KÖNIG

Dieses gründliche Ausmisten des Saustalls Politik sollte live im Fernsehen übertragen werden. Wir Zuschauer könnten es uns zu Hause bequem machen und die Haltung einnehmen, die wir auch als Bürger gegenüber unseren Volksvertretern an den Tag legen: die des Konsumenten. Wir verlangen von den Politikern die Verbesserung der Welt, solange wir nur selbst verschont bleiben.

Politikerbeschimpfung ist langweilig. Sie ist längst zum Volkssport einer maulenden Mehrheit verkommen. Die Empörung, egal worüber, ist billig zu haben. Kohls Bruch der Verfassung, der Spendensumpf der SPD in Nordrhein-Westfalen, teure Socken bei Hunzinger, Bonusmeilen bei der Lufthansa – alles eine Soße, alles ein Skandal, alles immer gleich eine Staatsaffäre, mindestens. Jedes Maß für Proportionen geht verloren, nicht zuletzt bei einer besonderen Spezies des Bürgers, den Journalisten. Am Ende frisst sich die Empörung selbst auf. Zurück bleibt nur noch Verachtung gegenüber den Politikern.

Natürlich gibt es gute Gründe für Politikverdrossenheit. Kohls kriminelles Spendensystem gehört mit Sicherheit dazu. Aber welche Folgen hatte der Skandal? Und wer erregt sich heute noch über ihn? Natürlich hat sie Özdemir nicht mehr alle, einen 80.000-Mark-Kredit bei einem Lobbyisten aufzunehmen. Aber ist es notwendig, deswegen gleich ganz aus der Politik auszusteigen? Natürlich ist es ein Verstoß gegen die Regeln für Bundestagsabgeordnete, wenn sie dienstlich erworbene Bonusmeilen privat nutzen. Aber warum diskutiert niemand darüber, ob diese Regelung an der Lebenswelt von Politikern, wo Dienstliches und Privates oftmals nicht mehr zu trennen ist, vielleicht vorbeigeht? Warum tun wir so, als würde uns die Bonusmeilen-Geschichte gleich italienische Zustände bescheren?

Jeder Bürger hat ein Recht auf Empörung. Politiker dürfen sich nicht bereichern und ihre Macht nicht kaufen. Aber es gibt kein Recht auf Heuchelei. Erwarten wir nicht, dass Politiker stellvertretend für uns moralisch sind. Wir sind keine Heiligen – und Politiker müssen es auch nicht sein.

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