28.000 Individuen

Ungeheuer true: Beim diesjährigen Wacken-Open Air schwelgt die Heavy Metal-Szene wiederum ein Wochenende lang in Nostalgie. Wer da spielt, ist gar nicht mal so wichtig

Monty Pythons bekanntester Film ist nicht nur eine unschlagbare Parabel auf das unproduktive Sektierertum der Linken. Das Leben des Brian lässt sich auch als gelungene Metapher etwa auf die Metalszene deuten – und das nicht nur wegen der Haarpracht der Protagonisten. Erinnert sei an die Filmzene, in der der irrtümlich zum Messias erhobene Brian der devoten Meute vor seinem Schlafzimmerfenster zuruft, sie bräuchten niemandem hinterher zu laufen, schließlich seien sie „alle Individuen“.

Ähnliche Beschwörungsformeln wird man am kommenden Wochenende, 1.–3. August, auch im schleswig-holsteinischen Wacken (Kreis Steinburg) hören, wenn jede zweite der insgesamt immerhin 85 angekündigten Bands betont, wie klein und gerade deshalb ungeheuer „true“ die eigene Szene doch sei. Woraufhin sich mancher der erwarteten 28.000 Zuschauer im wohligen Gefühl suhlen wird, ein mutiger, charakterfester Streiter wider den vermaledeiten Zeitgeist zu sein. Seit Abflauen des großen Hypes Anfang der 90er Jahre vergewissern sich in jedem August tausende mit erigierter Rückenbehaarung, dass sie „alle Individuen“ sind. Wie bei Pythons Monty eben.

Da stört es auch nicht, dass im nicht mehr ganz so neuen Jahrtausend so manche virile Pose auf der Bühne nicht mehr ganz so überzeugend wirkt wie im Mai 1984, als Iron Maiden um Sänger Bruce Dickinson mit The Number Of The Beast ihren Höhepunkt erreicht hatten und auf der Bühne ein marathonverdächtiges Laufpensum hinlegten. Doch auch 18 Jahre später kann man sich an der ausgebildeten Stimme des Briten auf Solopfaden erfreuen. Zumal Dickinson, der im Zugabenteil auch ein paar Maiden-Shantys trällern wird, zuletzt mit Accident Of Birth und Chemical Wedding zwei überzeugende Alben vorlegte.

Neben Rob Halford, der nicht mehr bei Judas Priest singt, aber noch die gleiche Musik macht, sorgen Nuclear Assault sowie die deutschen Thrash-Metaller Kreator und Destruction für authentisches 80er-Feeling, während sich, äh, Freunde melodiöserer Klänge auf Savatage und die Krefelder Blind Guardian freuen. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren sind renommierte Bands aus den Bereichen Death (Ausnahme: Cannibal Corpse, Unleashed) und Black Metal (Immortal) eher dünn gesät, hingegen ist der Trend zu vermeintlich mittelalterlichen Klängen noch nicht abgeebbt: Haggard aus München werden in der Nacht zum Sonntag ab 2 Uhr 15 für einen fackelbeleuchteten Ausklang eines Festivals sorgen, das mit Nightwish sogar eine Band verpflichten konnte, deren aktueller Output Century Child seit Wochen in den Top Twenty der Verkaufscharts rangiert. So tot ist härtere Musik also gar nicht.

Mag man die meisten Bands auch ein wenig angestaubt finden – der alljährlichen Völkerwanderung in das 1000-Seelen-Dorf Wacken wird das auch anno 2002 keinen Abbruch tun. Details des Billings interessieren nur die wenigsten Zuschauer: Die freuen sich an den naturbelassenen Wackener Bauern, die, selbstredend mit Freikarten versehen, freundlich vom Jägerzaun aus grüßen. Und auch bei netten Gesprächen mit „individuellen“ Ausländern aus sämtlichen Ausländern Europas stört das Geschehen auf der Bühne nur am Rande. Christoph Ruf

Donnerstag ab 15 Uhr, Freitag und Sonnabend ab 10 Uhr, Wacken (Kreis Steinburg), Festivalgelände; Achtung: Bei Redaktionsschluss war das Festival so gut wie ausverkauft, Restkarten noch beim Spar-Markt Jensen, Wacken, sowie an der Auto-Kasse erhältlich; aktuelle Infos und komplettes Programm unter www.wacken-open-air.de