Lokalkoloratur

Rechtsanwalt Ernst Medecke kommt gerne oben ohne zum Gericht. Er genießt es, den Blick auf die nackte Haut freizugeben. Seinen Hals nicht hinter eng anliegendem Schlips zu verstecken, sondern sogar den obersten Knopf des Hemdes offen zu lassen. Ende Januar allerdings stieß er beim Prozess in Winsen auf einen Amtsrichter, der bei so viel Freizügigkeit von einer Gänsehaut heimgesucht wurde. Um sich des anrüchigen Bildes zu entledigen, schloss er Medecke kurzerhand vom Verfahren aus. Nicht, ohne ihn vorher wegen des fehlenden Schlipses scherzhaft zu befragen, ob er selber der Angeklagte sei. Obwohl der ihm wohlbekannte Anwalt das verneinte, griff der Amtsrichter mit dem Rausschmiss zu einem Ordnungsmittel – und beging damit einen Fehler, wie er sich nun vom Oberlandesgericht Celle belehren lassen musste: Gegen Verteidiger darf mit dieser Maßnahme nicht vorgegangen werden. Medecke nun ist bester Dinge, bejubelt den Sieg, der für die Rechtsprechung im ganzen Land wegweisend sein wird. „Nach dieser Entscheidung kann in der ganzen BRD kein Rechtsanwalt mehr gezwungen werden, eine Krawatte zu tragen“, freut er sich. Wir uns auch. Angesichts der nun zu erwartenden freigelegten Hälse vor Gericht. EE