Und den Populismus macht Joschka

Grietje Bettin und Rainder Steenblock, Schleswig-Holsteins grüne SpitzenkandidatInnen für den Bundestag, über einen Wahlkampf zwischen Schröder und Stoiber, Inhalte und Image, rot-grüne Reformen und die Gefahr ihres Zurückdrehens

Schwarz-Schill als Schreckgespenst, um im Nachbarland auf Stimmenfang zu gehen?

von SVEN-MICHAEL VEIT

„Diese Erstarrung“, sagt Grietje Bettin, „ist schon frustrierend.“ Als ob es um nichts ginge bei der Bundestagswahl am 22. September, als ob den Leuten „die Inhalte, unsere Inhalte“ gleichgültig seien. Die grünen Themen also, welche die Bundestagsabgeordnete aus Flensburg auch in der nächsten Legislaturperiode wieder in Berlin vertreten möchte. Zusammen mit Rainder Steenblock, der Nummer 2 auf der Landesliste der Grünen Schleswig-Holsteins. „Für zwei Plätze wird es wohl wieder reichen“, gaben sich beide denn auch optimistisch bei einem Redaktionsbesuch der taz hamburg.

Die 27-jährige Pädagogin sitzt erst seit zwei Jahren im Bundestag, Steenblock will genau dort wieder hin, wo er bis 1996 war. Damals ging der jetzt 54-jährige Lehrer aus Elmshorn in die Landespolitik zurück, als Umweltminister und inzwischen Landtagsabgeordneter in Kiel. Auf dem Land aber, so Steenblocks Erkenntnis, „sind regionale Themen im Bundestagswahlkampf kaum gefragt“. Die entscheidende Frage werde sein, wem die WählerInnen mehr Kompetenz bei Wirtschaft und Arbeitsmarkt zutrauen – den rot-grünen Titelverteidigern und SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder oder den schwarz-gelben Herausforderern des CSU-Kandidaten Edmund Stoiber.

Der Atomkonsens, das Staatsbürgerrecht, das Gleichstellungsgesetz – Bettin und Steenblock halten diese und „viele andere Reformen“ vierjähriger rot-grüner Koalition im Bund „für grüne Ergebnisse“. Das Problem sei jedoch, „dass man mit Bilanzen keine Wahlen gewinnt“, befürchtet Steenblock. Deshalb müssten sie deutlich machen, „dass all das umkehrbar ist“, wenn Grüne und SPD abgelöst würden. Eine Bundesregierung unter Führung der Unionwerde „viele Reformen zurückdrehen“.

„Wir müssen eine Mischform finden“, glaubt Bettin, „um die WählerInnen zu überzeugen“, eine Mischung „aus Inhalten und Image“. Und für letzteres sei ganz selbstverständlich der Eine zuständig: Joschka Fischer, der Vize-Kanzler, der Außenminister, der laut Umfragen populärste Politiker Deutschlands, die Graue Eminenz der grünen Partei. Ende August ist der Marathon-Mann auch in Schleswig-Holstein auf Tour, und dann erst werde sich die Wahl im Norden entscheiden. „Joschka zieht die Leute an“, sagt Steenblock, er habe „ja auch einen gewissen Unterhaltungswert“, ohne inhaltsleer zu sein. „Joschka fährt mehr die populistische Schiene“, grinst Bettin, „aber flach ist der nie.“ Ohne Fischer, so ist herauszuhören, wäre die Wahl wohl schon verloren; so aber sei sie doch noch zu gewinnen.

Aber nicht mit einem Angstwahlkampf, da sind sich beide einig, obwohl die Verlockung nahe liegt. Schwarz-Schill in Hamburg könnte das Schreckgespenst sein, mit dem Grüne im Nachbarland im Norden auf Stimmenfang gehen. Dort sehe man genau hin, sagt Steenblock, „wie brutal zerschlagen wird“, was Rot und Grün in der Hansestadt aufgebaut hätten. Gerade im Umland, weiß der Mann aus Elmshorn, der einst in Hamburg als Gewerbelehrer tätig war, gerade im Speckgürtel werde „mit Schrecken“ registriert, welche knallharten Einschnitte in der Bildungs- und Sozialpolitik in Hamburg gemacht würden. Und wenn im Kieler Landtag der Name des Hamburger FDP-Schulsenators Rudolf Lange falle, schmunzelt Steenblock, würde FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki „immer schamhaft unter den Tisch kriechen“.

Aber mit dem Schüren von Ängsten gewinne man keine Wahl, glauben beide, zumindest Grüne nicht. Die eigenen Leistungen müssten hervorgehoben werden, und da habe gerade Schleswig-Holstein nach sechs Jahren rot-grüner Landesregierung manches zu bieten. „Allein die regenerativen Energien“, glaubt Steenblock, „lassen sich sehen.“ Schleswig-Holstein ist Spitzenreiter in der Windkraftnutzung, davon hätten auch der Mittelstand und die Arbeitsplätze profitiert: „Da können die Leute direkt sehen, dass grüne Rezepte funktionieren.“

Und über Stoibers Schatten-Bauernminister Peter Harry Carstensen können Bettin und Steenblock sich richtig freuen. Der CDU-Landeschef und Nordstrander Landwirt, der halsstarrig an die alten Bauernregeln der industrialisierten Agrarwirtschaft glaubt, als Gegenspieler der grünen Verbraucherschutzministerin Renate Künast – das, da sind sich beide sicher, „ist für uns Grüne in Schleswig-Holstein eine echte Wahlkampfhilfe“.