Das kunstvolle Ornament der Leichen

John Woos Film „Windtalkers“ widmet sich den Navajos, die im Zweiten Weltkrieg zu Code-Experten wurden

Das weite Land, über das die Kamera zu Beginn von „Windtalkers“ fährt, liegt im Monument Valley, Utah. Es ist Naturschutzgebiet und Themenpark zugleich. Hier wird die Kultur der Navajo-Indianer ausgestellt, für 2,50 Dollar Eintritt, mitten im Reservat. Auch für die Eröffnungssequenz des neuen Films von John Woo wird der Ort zum Gegenstand einer Inszenierung: Im Licht der untergehenden Sonne soll man eingestimmt werden auf die naturgegebene Freiheit in God’s own country. Die um Felsen kreisende Kamerabewegung gleicht dem Flug eines Adlers.

Wie das Land sind auch die Menschen, die dort leben: Freundlich sieht man Indianerfamilien einander beim Abschied zulächeln, wird der Sohn noch einmal gedrückt. Dann geht es in den Zweiten Weltkrieg, auf die Saipan-Insel, zu einem der größten Gemetzel im Kampf um Truppenstützpunkte im Pazifik. Auf Saipan standen den etwa 20.000 US-Marines an die 30.000 Soldaten unter der Führung von General Saito gegenüber. Nach zwei Wochen waren fast alle tot, auf beiden Seiten. Dafür gibt es heute noch Homepages der US-Regierung mit historischem Fotomaterial. Auf einer dieser Seiten findet man auch die Navajo-Indianer als Helden wieder: Weil sie besonders schnell strategisch wichtige Daten bei Kampfeinsätzen in ihrer native tongue verschlüsseln konnten, wurden sie als Aufklärungsposten eingesetzt.

Während des Krieges hat es die japanische Armee nie geschafft, diesen Code zu knacken. Denn jedem Navajo-Indianer war ein Soldat zur Seite gestellt, der ihn im Notfall töten musste, damit dieser das Geheimnis in der Folter nicht den Japanern verraten konnte. Das ist die Konstellation von „Windtalkers“, das schmiedet den Soldaten Joe Enders (Nicolas Cage) und seinen Schützling Ben Yahzee (Adam Beach) zusammen, bis aus den Männern Freunde werden.

Militärhistorisch mag diese Paarung höchst interessant klingen – nach Kittler’schem Apparate-, Psycho- und Info-War für WW II-Veteranen. Dabei liegt die besondere Pointe in der ambivalenten Rolle der Navajo-Indianer: Von den weißen Siedlern besiegt, erweisen sie sich im Pazifik als standfeste Patrioten. Aber John Woo ist kein Medientheortetiker und kein Spezialist für postcolonial studies, er mag Blut, Splatter und riskante Stunts. Entsprechend schnell wird die Geschichte um indigene Sprachen, die magisch durch die Funkgeräte des Feindes fließen, zu einem never ending und vor allem finalen Countdown. 3.000 Amerikaner sollen allein bei ihrer Landung auf Saipan gefallen sein, dazu noch alle 30.000 japanischen Soldaten und 22.000 Zivilisten – also mag sich Woo gedacht haben: Wie zeige ich 55.000 Tote?

Wer Woo-Filme wie „The Killer“, Hardboiled“ oder „Broken Arrow“ kennt, kann sich vorstellen, mit welcher Wucht der Krieg in „Windtalkers“ auf der Leinwand brandet. Immer wieder werden die Menschen stoßtruppweise niedergemäht, bleiben GIs im Kugelhagel zerfetzt auf dem Feld liegen oder am Kameraobjektiv kleben. Soldaten sind nicht nur Mörder, Soldaten sind vor allem Schlachtvieh. Das Bild dazu ergibt sich bei Woo aus der unentwegten Addition toter Leiber. Erstaunlich, dass er für dieses manische Zerstörung von Körpern im Spiegel-Interview mit der Floskel durchgekommen ist: „Ich hasse den Krieg.“

Andererseits mag er das Bekenntnis zum Patriotismus, auch auf feindlichem Gelände. Nach Pearl Harbour scheint alles erlaubt. Nie steht der Einsatz in Frage, nie kommen den Soldaten wirklich Zweifel an ihrem Treiben. Bevor überhaupt irgendjemand zum Denken kommt, schlagen wieder Granaten ein – und das Special-Effect-Spektakel geht weiter. Wenn dabei US-Soldaten sterben, gibt es dramatische Close-ups und schmerzverzerrte Grimassen; die Japaner haben gar nicht erst Gesichter, sie sind bloß kunstvoll ornamentierte Leichen, die den Weg der Gerechten pflastern – da war man mit Terrence Malicks „Thin Red Line“ schon sehr viel weiter.

Besonders ärgerlich wird diese Survival-Versuchsanordnung, als zumindest dem Navajo-Indianer klar wird, dass er sich wegen des Code-Geheimnisses auf einer Mission ohne Wiederkehr befindet. Wie zum Trotz greift er plötzlich zur Waffe und veranstaltet ein Massaker unter den japanischen Gegnern – während Cage ihm wutschnaubend den Rücken freihält. Für Woo ist das ein Symbol des Konflikts zwischen Freundestreue und Freundesverrat, wie er ihn schon Mitte der Achtzigerjahre in Yakuza-Thrillern in Szene gesetzt hat. Das waren barocke Gewaltfantasien, die mehr an Ballettaufführungen erinnerten. „Windtalkers“ überträgt dieses überaus ästhetische Spiel mit dem Tod auf ein reales Kriegsereignis. Dass sich dabei für den Betrachter die Grenzen zwischen Geschichtspathos, Rhetorik und Propaganda verwischen, ist in Zeiten eines möglichen US-Angriffs auf den Irak nicht verwunderlich. Dass aber ein Regisseur, der von Kanton nach Hongkong und zuletzt nach Hollywood emigriert ist, den Pazifikkrieg zur identitätsstiftenden Heldenlegende just in time aufschäumt, das ist schon bedenklich.

HARALD FRICKE

„Windtalkers“. Regie: John Woo. Mit Nicolas Cage, Adam Beach u. a., USA 2002, 134 Min.