In den Medien herrscht bereits Krieg

Zwischen Russland und Georgien ist erneut ein Streit um das Pankisi-Tal entbrannt. Die Regierung in Moskau streitet ab, die tschetschenische Enklave in Georgien bombardiert zu haben. Tiflis spricht von einer bewussten Provokation Russlands

aus Moskau BARBARA KERNECK

In der westlichen und russischen Presse heißt es, Russland und Georgien befänden sich seit Beginn dieser Woche im Beinahekriegszustand. So sprach etwa die Moskauer Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta von „Konfrontationen wie unmittelbar vor einem Krieg“.

Doch eigentlich ist gar nichts Neues passiert: Einige tschetschenische Banden hatten sich in den letzten Monaten nach alter Gewohnheit ein wenig jenseits der georgischen Grenze im Pankisi-Tal ausgeruht. Anfang dieser Woche kehrten sie offenbar zu sich nach Hause zurück. Dort terrorisierten sie, wie gehabt, unverzüglich die eigenen Landsleute.

Bei den Grenzgängern handelte es sich nicht um irgendwen, sondern um etwa sechzig Mann des tschetschenischen Feldkommandeurs Ruslan Gelajew. Zwei Gefangene aus den Reihen der Überschreiter behaupten, ihren Lagerwechsel hätten georgische Grenzposten gegen Geld begünstigt.

Auf georgischem Territorium sollen die russischen Luftstreitkräfte „als Antwort“ das Grenzdorf Girewi und die Schlucht von Pankisi bombardiert haben. Wie auch bei vergangenen derartigen Beschuldigungen bestreiten und dementieren Moskauer Stellen einen Einsatz vehement. Gleichzeitig distanzierte sich das offizielle Geogien von der Aussagen der in Russland Gefangenenen und beharrte darauf, dass niemand die Grenzen des Staates überschritten habe.

Der stellvertretende Sekretär des georgischen Sicherheitsrats, Dschemal Gachokidse, machte gegenüber dem Blatt Nesawissimaja Gaseta Zweifel daran geltend, dass Gelajews Bande wirklich gerade eben aus Georgien kam. In der ganzen Geschichte vom angeblichen Eindringen tschetschenischer Banditen auf russisches Territorium von Georgien aus gebe es eine Menge Ungereimtheiten.

So seien die Tschetschenen erst in einer Entfernung von 15 Kilometern hinter der georgischen Grenze dingfest gemacht worden. Hätte man die Banditen direkt an der Grenze abgefangen – so Gachokidse – wäre es für die Russen sehr viel leichter gewesen, die gesamte Welt von deren Herkunft aus Georgien zu überzeugen.

Regierungstreue Kreise in der georgischen Hauptstadt Tbilissi sprechen wegen alledem auch von einer bewussten Provokation von Seiten der Russen. Demgegenüber ließ der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow gestern die Chance nicht ungenutzt versteichen, ein weiteres Mal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass niemand anders als Moskau selbst in der Pankisi-Schlucht eine Großaktion zur Säuberung von Terroristen durchführen könne.

Er übersah dabei geflissentlich die Anwesenheit von US-Ausbildern in georgischen Garnisonen, die dort bereits seit mehreren Monaten Spezialeinheiten schulen. Auf jeden Fall, so schreibt die Moskauer Tageszeitung Komsomolskaja Prawda, könne man das ganze Gezeter um den Beginn eines neuen Krieges auch nicht nur als eine reine Laune der Moskauer Militärs abtun: „Werden die Lager der Banden in der Pankisi-Schlucht nicht endlich liquidiert, dann rückt für Russland die Chance, die Operation in Tschetschenien jemals zu beenden, in immer nebelhaftere Fernen.“

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