„Bethlehem ist nicht mehr Bethlehem“

Mitri Raheb, Pastor der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche, über die israelische Besetzung und das Gefühl, zwischen den Fronten zu stehen

taz: Ich habe sehr lange vergeblich versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Ihre Frau schien sehr besorgt. Haben Sie Angst um Ihr Leben?

Pastor Mitri Raheb: Es war natürlich ein Risiko, auf die Straße zu gehen, um mit den israelischen Soldaten zu verhandeln. Aber es war besser, das in Kauf zu nehmen, als zuzulassen, dass die Soldaten ins Haus kommen und meine Frau, meine Töchter und meine Mutter verängstigen.

Was genau ist passiert?

Drei Einheiten haben den Gebäudekomplex der Kirche, das Begegnungszentrum und unsere Büros gestürmt. Sie schlugen die Türen ein. Ich bat darum, den Kommandanten zu sprechen und fragte ihn: „Warum macht ihr alles kaputt? Ich hätte euch die Tür aufmachen können.“ Er erklärte mir, dass sie zum Nachbarhaus durchwollen. Das ist von unserem Gelände aus gar nicht möglich. Andere Soldaten hatten sich bereits in unseren Büros verschanzt. Sie bedrohten mich und beschimpften mich als dreckigen Araber. Sie hielten mich für zwei Stunden fest. Ich durfte niemanden anrufen, deshalb war meine Frau so besorgt. Die Soldaten halfen mir später, zwei Fenster provisorisch zu reparieren. Es sind über 35 Türen und 55 Fenster zu Bruch gegangen. Zwei Panzergeschosse haben außerdem die komplette Fassade der Wohnungen unserer internationalen Fachkräfte eingerissen. Auch vor dem Gelände hat der von der Stadt Köln restaurierte Platz Schaden genommen. Bethlehem ist nicht mehr Bethlehem. Die Soldaten haben Landminen verlegt. Als ich mit einem Soldaten vor das Haus ging, sagte er mir: „Pass auf, tritt nicht hierhin, dort liegt eine Mine.“

Haben Sie Informationen über die Vorgänge in der Geburtskirche? Halten sich dort wirklich bewaffnete Widerstandskämpfer auf?

Ich denke, es ist eine gemischte Gruppe. Anwohner sind dabei, die sich in Sicherheit gebracht haben, als die Soldaten kamen. Ich weiß, dass die Touristenpolizei, die ihr Büro am Manger-Square hat, dorthin geflüchtet ist. Es sind sicherlich auch einige Kämpfer in der Kirche.

Wie denken Sie darüber, dass sich Kämpfer in der Kirche verschanzen?

Ich habe es immer so gehalten, dass keine Waffen in die Kirche kommen. Das habe ich den Soldaten heute auch gesagt. Aber es gibt ja auch diese alttestamentliche Sitte, dass solche Leute unter bestimmten Umständen in die Gotteshäuser flüchten. Es ist also nicht unbedingt unchristlich.

Sie haben immer das Wort als Waffe propagiert. Glauben Sie, dass der Konflikt im Nahen Osten so noch immer lösbar ist?

Im Moment scheint es, dass es diese Möglichkeit nicht mehr gibt. Wir stecken in einer Sackgasse. Jetzt reden die Waffen.

Können die Christen, die hier offensichtlich zwischen die Fronten geraten, zur Versöhnung beitragen?

Die Kirchen haben ja versucht zu vermitteln, sind aber nicht zu Arafat vorgelassen worden. Wir haben als Christen eine Botschaft, auf die wir nicht verzichten können. Wir dürfen nicht schweigen, wo Unrecht geschieht. Gleichzeitig ist Versöhnung ein Auftrag. Ich habe den Soldaten gesagt: Der Kluge ist nicht derjenige, der seine Macht demonstriert und schimpft, sondern der, der es schafft, seinen Feind zu seinem Nachbarn zu machen. Ich habe das Gefühl heute stärker als je, dass die Israelis das nicht wollen. Sie wollen uns vielleicht als Wasserträger, sicher nicht als gleichwertigen Menschen. Leider geht auch die islamische Propaganda umgekehrt in diese Richtung.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL