Wer ließ den Pleitegeier frei?

Die Kommunen sind blank. Das liegt nicht an der Steuerreform, sagt der Finanzminister. Experten: Industrie nutzt rot-grüne Steuergeschenke erst 2002

von HANNES KOCH
und CHRISTIAN FÜLLER

Die Bundesregierung steckt im Stimmungstief. Arbeitslosigkeit, Börsencrash, Wirtschaftsmisere haben den Sommer verhagelt – jetzt kommt auch noch die Finanzkrise der Kommunen hinzu. Städte von München über Gelsenkirchen bis Norderstedt melden Alarm: Die Steuereinnahmen brechen weg.

Der Union fällt es nicht schwer, daraus den nächsten Wahlkampfhammer zu schmieden. Die rot-grüne Steuerreform habe „eine Schieflage zu Lasten der kleinen Betriebe und der Bürger“ produziert, tönt Bayerns Finanzminister Kurt Falthauser (CSU) aus München. Er suggeriert, dass auch am kommunalen Finanzdesaster die Regierung aus SPD und Grünen schuld sei. München hat kein Geld, seine Kindergärten weiterzubauen? In Berlin steigen die Schwimmbadpreise? – Alles Minuspunkte für Rot-Grün.

Gestern ging Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in die Gegenoffensive. Außerplanmäßig präsentierte er dem Bundeskabinett einen Bericht zur finanziellen Lage der Kommunen. Der Finanzminister bestritt dabei einen flächendeckenden Einbruch der Gewerbesteuer. Die starken Rückgänge konzentrierten sich auf Großstädte. Dort hätten große Kapitalgesellschaften massive Steuerrückzahlungen geltend gemacht – vor allem Banken und Versicherungen.

Trotzdem hat Eichel es nun eilig. Die von ihm eingesetzte Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen soll nicht erst Mitte kommenden Jahres einen Bericht vorlegen, sondern schnellstmöglich. Bereits Ende dieses Jahres sollen erste Konsequenzen für die Gewerbesteuerumlage gezogen werden. Denn, so konzedierte Eichel, es bestehe dringender Reformbedarf.

Dass es um die kommunalen Kassen in Deutschland schlecht bestellt ist, wissen alle. Gerade die Gewerbesteuereinnahmen gehen zurück. 2001 haben die großen Unternehmen, die wichtigsten Steuerzahler in den Städten, netto über 2 Milliarden Euro weniger bezahlt als ein Jahr zuvor. Wenn sich der Trend fortsetzt, werden die Stadtkämmerer dieses Jahr weitere Milliarden weniger verbuchen. Ihr Gewerbesteueraufkommen liegt dann nur noch bei 17 Milliarden Euro.

Über die Gründe des Rückgangs der Gewerbesteuereinnahmen lässt sich allenfalls spekulieren.

Ursache 1: Die wichtigste Ursache für den Einbruch ist nicht nur für den Finanzminister die miese Konjunktur. Die Gewinne der Unternehmen brechen weg – also überweisen sie weniger Geld an die städtischen Kämmerer. Besonders beim Mittelstand führt dies zu dramatischen Effekten. Viele Betriebe rutschen mit ihren Gewinnen in die Zone unter 72.500 Euro Geschäftsgewinn, wo weniger oder gar keine Gewerbesteuer mehr anfällt. Der Präsident des Steuerberaterverbands Hamburg, Manfred Marcks, etwa hat bei seiner mittelständischen Kundschaft festgestellt: Ein Gewinnrückgang um 40 Prozent bei einem Betrieb lässt, wegen der steuerlichen Systematik, die Gewerbesteuereinnahmen der Kommune um 60 bis 70 Prozent zurückgehen.

Ursache 2: Die Bundesregierung hat, wie allgemein begrüßt, die Einkommensteuersätze reduziert. Diese Steuerausfälle waren gewollt – aber schlecht kalkuliert. Zusätzlich wurden die Kommunen dazu verdonnert, Bund und Länder stärker an der Gewerbesteuer zu beteiligen – über diese höhere „Gewerbesteuerumlage“ fließen etwa 1,5 Milliarden Euro Gewerbesteuer in Richtung Bund und Länder.

Die Städte verlieren aber auch an Finanzmitteln, weil die Körperschaftsteuer, die Gewinnsteuer für Unternehmen, gesenkt wurde. Dadurch fallen die Einnahmen der Bundesländer – und im Gefolge auch die der Städte und Gemeinden. Ulrich Mohn, Finanzreferent beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, sieht dies als wesentlichen Grund dafür, dass die Kommunen weniger investieren, also weniger Straßen und Kindergärten bauen können.

Ursache 3: Im Rahmen der großen Steuersenkung hatte Rot-Grün die Dividendenausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt. Deswegen überwiesen viele Unternehmen im Jahr 2001 weniger Gewerbesteuer. Für 2002 wurde diese Möglichkeit sofort wieder eingeschränkt.

Ursache 4: Über die so genannte gewerbesteuerliche Organschaft scheiden sich die Geister. Sie besagt, dass Tochterfirmen ihre Verluste zum Nachteil des Firmensitzes verrechnen können. Monatelang ging alle Welt davon aus, dass dieser Passus zur rot-grünen Steuerreform gehöre und Hauptursache für den Steuerausfall sei. Nun ist reger Expertenstreit darum ausgebrochen. Münchens Oberbürgermister Ude (SPD) etwa meint, das Instrument aus der Zeit der Regierung Kohl werde inzwischen viel „professioneller genutzt“.

Selbst über die im Januar 2002 in Kraft getretene Neugestaltung der Organschaft gibt es Streit. Für die Parteifreunde Udes bedeutet die Einführung von Gewinnabführungsverträgen eine deutliche Erschwernis der – legalen – Verlustverrechnungstricks. Eine „dramatische Erleichterung für große Unternehmen“ sieht dagegen Lorenz Jarass, Finanzprofessor der Fachhochschule Wiesbaden. Denn Organschaften seien seit Anfang des Jahres noch leichter zu bilden.

Ursache 5: Rot-Grün hat die Verkäufe von Aktienpaketen durch Konzerne komplett von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit. Als etwa die Deutsche Bank zu Beginn dieses Jahres Anteile der Allianz und der Münchner-Rück-Versicherung verkaufte, verdiente sie rund eine Milliarde Euro steuerfrei. Geld, das den Kommunen nicht zur Verfügung steht.

Diese Einbußen werden ab 2002 aufreten. Lorenz Jarass warnt: „Das ist kein Einmaleffekt.“ Analysten erwarten gar, dass der beschleunigte Kauf und Verkauf von Unternehmen das Instrument der Organschaft (Ursache 4) für die Industrie erst richtig interessant macht – mit verheerenden Folgen für die Kommunen.

Ursache 6: Wahrscheinlich die Hälfte der Steuerrückgänge hat mit der Politik von Rot-Grün nichts oder nur sehr wenig zu tun. Neben der miesen Konjunktur haben einige der großen Städte, die sich beklagen, außergewöhnliche Ereignisse in den ansässigen Konzernen zu verkraften. Dass ein Unternehmen wie die Münchner Kirch-Medien-Gruppe in sich zusammengebrochen ist und deshalb als Gewerbesteuerzahler komplett ausfällt, lässt sich schwerlich dem Finanzministerium anlasten.