berliner szenen Sommerhitze

Abkühlungsbedürftig

Weil es so heiß ist in der Stadt, werden die Menschen immer alberner. Der Mann auf der Bank Ecke Nostizstraße sagt allen, die mit einem Eis vorbeikommen, sie sollen schneller schlecken, sonst wird er mitschlecken, und dann lacht er. Ein Betrunkener um die fünfzig will sich das T-Shirt vom Oberkörper reißen und bleibt mit dem Arm im Ärmel hängen, während seine Kumpels auf dem Rasenstück vor der Amerika-Gedenkbibliothek ihn anfeuern und jauchzen. Ein anderer bringt leere Bierdosen zur Imbissbude neben der Domäne-Filiale und fragt, ob er Dosenpfand dafür kriegt.

In der U-Bahn zur Warschauer Straße ist es auch nicht besser. Ein Obdachloser fragt, ob man etwas Geld, Brot, Getränke, Aktien, Immobilien, eine Wohnung oder etwas zum Anziehen für ihn hat und wiederholt seine Wünsche danach in fein ziselierten englischen Formulierungen. Darüber lacht sich ein Amerikaner kaputt, der eben noch ins Handy gemaunzt hatte, Charlotte solle ihm am Abend bitte lecker Thai-Food machen. Neben ihm spielt ein Typ Ende zwanzig am Hosenbund seiner Freundin herum, trippelt mit den Fingerspitzen über ihren Beckenknochen und piekst ihr zum Schluss mit dem Zeigefinger triumphierend in den Bauchnabel. Dann schubst sie seine Hand energisch weg, nur um kurz zu kichern und mit den Augen doch irgendwie beglückt zu rollen. Und ich denke: Das Eisen, das die Feile feilt, und die Feile, die das Eisen feilt, sie gehören zueinander. Das liegt an dem Lärm, der morgens um sechs schon mit den Bauarbeitern beginnt, die im Hof das Nebenhaus renovieren. Sie dürfen das so früh, sie haben eine Genehmigung, weil Bauarbeiter sonst im Sommer einen Hitzeschlag bekommen. Wird Zeit, dass es abkühlt. HARALD FRICKE