„Einfach schneller“

Leichtathletiktrainer Klaus Müller hat in Pirna eine Läufergruppe um sich geschart, mit der er zu Olympia will

ZINNOWITZ taz ■ 800 Meter sind Nils Schumann. Der Erfurter steht seit seinem Olympiasieg auf dieser Strecke wie Rostbratwurst für Thüringen. Doch ein paar Läufer aus einer sächsischen Kleinstadt nahe Dresden möchten sein Monopol brechen. In Deutschland haben es die Läufer der LG Pirna schon ein paar Mal geschafft. Die Herausforderer sind: 800-Meter-Meister René Herms (20), Franek Haschke (22), derzeit bester Deutscher über 1.500 Meter, und U 23-Europameister Wolfram Müller (21), momentan angeschlagen und nicht bei der EM in München (6. bis 11. August) dabei.

„Es ist ein angespanntes Verhältnis, aber trotzdem freundschaftlich“, beschreibt Herms das Binnenklima zum Olympiasieger. Haschke, der mit Schumann in der Wintersaison einmal aneinander geraten war, beschreibt es etwas offensiver: „Wir wollen unsere Vormachtstellung in Deutschland untermauern.“

Die Gruppe um Trainer Klaus Müller (60) hat in Zinnowitz auf der Ostseeinsel Usedom ihr siebtes Trainingslager in diesem Jahr bezogen, das letzte vor München. Das Tagespensum liegt an diesem verregneten Nachmittag hinter den Läufern. Die Frage nach der Übungseinheit erübrigt sich fast: Es war ein Dauerlauf. „Wir machen den fünfmal die Woche, das ist Gesetz“, sagt Klaus Müller. „Wenn der Dauerlauf kommt, wird das Training immer gut – und er kommt bestimmt“, entgegnet Haschke.

Das ganze Jahr über wird auf abgemessenen Strecken ein exakt vorgegebenes Tempo gelaufen. Auch in der Hochphase der EM-Vorbereitung geht Müller nicht von seinem Konzept ab. „Wir laufen dasselbe wie die anderen“, sagt er, „wir laufen nur schneller. Bei uns gibt es keine wilden Dauerläufe.“ Bewusst, konsequent und genau sind die Lieblingsattribute Müllers, ferner die kryptischen Kürzel GA 1 und GA 2.

Herms und Hönig stellen das Gleichgewicht her

Hinter den Abkürzungen verbirgt sich die komplexe Welt der anaeroben Schwellen und leistungsdiagnostischen Werte, die vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig regelmäßig ermittelt werden. Müller geht penibel vor. An diesem Vormittag auf Usedom schickte er Haschke zum GA 1-Lauf mit 4,67 Metern pro Sekunde auf eine Strecke von 15 Kilometer. Herms läuft 12 km, Geschwindigkeit: 4,62 m/s. Im Gegensatz dazu sagte Nils Schumann unlängst, er unternehme recht oft sehr lange Läufe im Walkingtempo – in Pirna wäre das ein Sakrileg.

Klaus Müller ist zufällig zu seiner Laufgruppe gekommen. „Es hätte auch eine Hürdengruppe sein können“, sagt der Sachse. Es war aber just kein guter Hürdensprinter da, sondern der hoch talentierte Mittelstreckler Wolfram Müller. Um ihn bildete sich die flinke Pirnaer Peer-Group. Müller holte Haschke aus Potsdam, Herms wurde überredet, vom Handball zur Leichtathletik zu wechseln, Steffen Hönig kam aus dem badischen Örtchen Lauda in die 40.000-Einwohner-Stadt, flussabwärts der Sächsischen Schweiz gelegen. Die Gruppe funktioniert. Müller gilt als besessen, Haschke nicht minder. Herms und Hönig stellen das Gleichgewicht her.

Müllers Devise: Ganz oder gar nicht

Klaus Müller steht seit über 30 Jahren an der Tartanbahn. In der DDR hatte er die Aufgabe, 10 bis 12-Jährige für die Kinder- und Jugendsportschule in Dresden fit zu machen. Dutzende wurden „delegiert“. Müller, der bis 1969 als Elektriker an „Baggern und solchen Sachen“ hantierte, hat sich viele Trainingsmethoden autodidaktisch angeeignet. Und er fiel den Parteisoldaten unangenehm auf, weil er nicht duldete, dass FDJ- und Pionier-Nachmittage Vorrang vor seinen Trainingseinheiten hatten.

Nun muss er viel versprechende Talente nicht mehr ziehen lassen, er kann sie bei ihrer gesamten Entwicklung begleiten. Er scheint dieses späte Privileg zu genießen. „Ganz oder gar nicht – das ist meine Devise, die Jungs müssen spüren, dass sich immer einer um sie kümmert.“ In den letzen Jahren haben Müllers Athleten 22 deutsche Meistertitel geholt. Er aber will mehr.

Das Projekt „Laufteam Pirna –Athen 2004“ soll die Ambitionen klar machen. Der Sportartikelhersteller Asics gibt Geld, außer Herms sind die Läufer in Sportfördergruppen der Bundeswehr abgesichert. Wenn einer seiner Schützlinge sagt, allein der Spaß am Laufen treibe ihn an, korrigiert ihn Müller: „Eigentlich hätte er sagen müssen: ‚Ich will Olympiasieger werden.‘“

Herms’ Bestzeit liegt beispielsweise bei 1:45,85. Die Weltelite ist viel schneller. Die Pirnaer wollen den Nachteil mit aggressivem Laufstil wettmachen. Müller hält sie an, von der Spitze aus das Rennen zu machen. Zum anderen bauen sie auf ein dichteres Doping-Kontrollnetz. „Wenn sich dort viel tut, steigen auch unsere Chancen“, sagt Müller. „Wir wollen entweder einen sauberen Sport machen oder gar keinen.“ Ihn ärgert, dass die deutschen Meister Herms und Haschke bei den Titelkämpfen in Wattenscheid nicht kontrolliert wurden: „Man kann das Netz viel enger stricken.“

Die Ziele für die bevorstehende EM fallen noch bescheiden aus. Herms soll sich für den Endlauf qualifizieren, Haschke genauso. U 20-Europameister Herms wird dann wohl erneut auf Nils Schumann treffen.

MARKUS VÖLKER