DIE „BILD“-KAMPAGNE SCHADET DER KRITISCHEN ÖFFENTLICHKEIT
: No more miles, bitte!

Das politische Berlin ist in Panik geraten. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fordert von der Lufthansa die datenschutzrechtlich bedenkliche Offenlegung der Liste, die die Bild-Zeitung zugespielt bekommen hat. Gregor Gysi tritt anlässlich der „Flugmeilen-Affäre“, die diesen Namen kaum verdient hat, zurück. Allein Jürgen Trittin beantwortete die Fragen zu seinen Flugmeilen mit stoischer Gelassenheit. Damit hatte er Recht.

Kein Missverständnis: Die Abgeordneten verpflichten sich bei Dienstreisen, Bonusmeilen dienstlich zu nutzen. Wenn private und dienstliche Termine nicht klar zu trennen sind – das ist bei Politikern oft der Fall – dann muss der Bundestag eine neue Regelung finden und den Abgeordneten die Bonusmeilen zur freien Verfügung belassen. Es geht nicht um ein paar verflixte Meilen: Es geht darum, dass sich Politiker an die Regeln halten, die sie sich auferlegen. Doch zurücktreten muss wegen miles & more niemand.

Die Bild-Zeitung bläst, kurz vor der Bundestagswahl, eine Lapalie zum Skandal auf und fährt mit einer Winzigkeit die wahrscheinlich erfolgreichste Kampagne seit langem. Das ist fatal, weil das eigentliche Problem, über das Verteidigungsminister Scharping und Cem Özdemir gestolpert sind, darüber in Vergessenheit zu geraten droht: die politische Einflussnahme in den Hinterzimmern von Lobbyisten. Sie ist kaum zu kontrollieren, ihre Mechanismen sind schwer zu verstehen. Wer über Geld und politischen Einfluss verfügt, wird für Lobbyisten interessant – das gilt für alle. Dies lässt sich nicht ändern, schadet der politischen Kultur aber sehr. Was auch immer an der „Enthüllungsgeschichte“ über Rudolf Scharping stimmte – die Briefwechsel zwischen Hunzinger, Rüstungsunternehmern und Scharpig hinterlassen einen unangenehmen Geschmack.

Einen Ausweg aus diesem „Lobby-Dilemma“ bietet nur eine aufmerksame und kritische Öffentlichkeit. Rechtlich ist diese Grauzone außerhalb von Bestechung und Korruption nämlich nicht zu regeln. Doch wenn wir, die Öffentlichkeit, nun hysterisch auf ein paar falsch verbuchte Bonusmeilen reagieren, diskreditieren wir uns selbst. Bild versucht derzeit politisch Einfluss zu nehmen und Rot-Grün zu schaden. Mit der Wächterrolle der Öffentlichkeit hat das nichts zu tun.

Doch wer Kleinigkeiten skandalisiert, dem wird man den echten Skandal nicht mehr abnehmen. Wer die Bonusmeilen-Affäre zu hoch hängt, macht sich unglaubwürdig. Gegenüber den Lesern, aber auch gegenüber den Politikern. Das ist der eigentliche Skandal. HEIKE HOLDINGHAUSEN