sommerkrimi

Folge 13

12.00 Uhr

„Ziemlich unübersichtlich hier, Atze.“ Die Straße Am Brunnenhof verlief U-förmig um einen begrünten Kinderspielplatz herum. Dessen offene Seite ging, nur durch einen niedrigen Zaun getrennt, in ein wild bewachsenes Brachland über. Novitzkis Wohnung lag am gegenüberliegenden Ende, von der Einfahrt aus betrachtet. Sie grenzte rechts direkt an das freie Gelände.

„Ungewöhnlich.“

Atze Wendt nahm die Brille in die Hand und putzte sie. Dann nahm er den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte ihn wieder auf.

„Wo hier sonst jeder Meter zugebaut ist.“

Pieter Lund musterte die schmale Zufahrt. „Wir sollten erst mal sehen, ob er in der Wohnung ist. Am besten, wir lassen unsere beiden Wagen hier stehen. Mit einem Fluchtauto kann man nur hier vorn durch.“

Er zeigte auf die verkehrsberuhigte Straße, an deren einer Seite Autos parkten.

„Lass uns mal zu den anderen rübergehen.“

Pieter Lund und Atze Wendt waren in Begleitung von vier Streifenpolizisten in Zivil.

„So, Leute. Vielleicht haben wir Glück, und er ist zu Hause. Atze und ich gehen rein. Kalle und Jan nehmen die Eingangstür. Er könnte leicht aus dem vorderen Fenster springen, wenn wir an der Tür sind. Postiert euch mit guter Deckung auf dem Kinderspielplatz. Aber wenn da jemand zum Spielen kommen will, sofort in Sicherheit bringen, ist das klar?“

Kalle Niemann und Jan Möller nickten.

„Hajo und Hubert, ihr geht nach hinten in den Innenhof. Vermutlich grenzt der Innenhof auch an diesen Urwald hier links von uns. Postiert euch links und rechts von der hinteren Tür. Seid vorsichtig und konzentriert. Wenn bei euch einer kommt, dann bestimmt in vollem Tempo und in Panik. Werft auch ein Auge auf die Fenster zum Hof. Vielleicht sind da Balkone oder ebenerdige Terrassen.“

Die Männer waren schon im Begriff ihre Positionen zu beziehen, da rief Lund sie doch noch mal zurück.

„Wartet einen Augenblick.“

Lund überlegte.

„Wenn er jetzt am Fenster zur Straße sitzt, sieht er uns lange anmarschieren. Da verdrückt er sich in aller Ruhe. Lass mich mal überlegen. Besser ist es, Hajo und Hubert fahren mit einem Auto bis in den Winkel da vorne. Da kann er nicht mehr einsehen. Hajo geht über den Nebeneingang auf den Hof, Hubert bleibt im Auto sitzen. Atze und ich gehen an der Häuserfront entlang. Und ihr zwei geht nacheinander auf den Spielplatz. Setzt euch zunächst auf zwei verschiedene Bänke. Wenn Atze und ich im Haus sind, blockiert Hubert die Straße, indem er den Wagen quer stellt, dann kann er nur noch per pedes fliehen. Anschließend geht Hubert auch in den Hof. Atze und ich warten zwei Minuten, dann klingeln wir.“

Wenig später standen sie vor Novitzkis Haustür. Atze Wendt schaute Pieter Lund fragend an. Nach einer Weile nickte Lund. Er stand im toten Winkel des Tür-Spions und hatte die Dienstwaffe gezogen. Atze drückte auf den Klingelknopf. Sie horchten. Er klingelte noch einmal. Nichts.

„Mach die harte Tour!“

„Aufmachen, hier spricht die Polizei!“

Wendt klopfte laut an die Tür. Es blieb still.

„Okay.“ Lund entspannte sich.

„Wird wohl etwas länger dauern. Ich sag den beiden auf dem Hof Bescheid, du nimmst Niemann und Co.“

Pieter Lund ging den Eingang wieder heraus und dann durch einen Durchgang zwischen den Häusern auf den Hof.

„Pieter!“ Hajo Kleinert rief ihn leise. „Die Balkontür ist auf.“

Lund lief zu ihm unter die Eichen. Tatsächlich.

„Ich geh mit Atze rein. Du gehst zu Hubert. Sag ihm, er soll sich weiter zurückziehen, bis hinter den rechten Baumstamm. Ich informiere unsere Leute vorne. Wenn ich wieder zurück bin, gebt ihr Atze und mir von beiden Seiten Flankenschutz. Vermutlich ist die Wohnung leer, aber man weiß ja nie. Am Ende schläft da einer selig seinen Rausch aus.“

Wenig später standen Atze Wendt und Pieter Lund auf dem Balkon.

„Das Fenster ist eingeschlagen.“

Lund legte den Zeigefinger auf den Mund. Sie gingen hinein wie sie es gelernt hatten. Einer hinter dem anderen. Die Waffe in beiden Händen, die Arme ausgestreckt. Ein Schritt in den Raum, sichern, erst links, dann rechts. Vorgehen bis zur nächsten Tür. Ein Schritt hinein, sichern, erst links, dann rechts. Dann sahen sie Novitzki. Lunds Halsschlagader pochte plötzlich bis unter seine Schädeldecke. Ihm brach der kalte Schweiß aus. Er kannte das schon. Aber sie absolvierten das volle Programm. Vorgehen zur Tür. Schritt in den nächsten Raum, sichern links, sichern rechts usw., bis sie wussten, dass außer dem Toten keiner anwesend war.

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus