Abgebaute Alkoholkranke

Die Anwohner der Anna-Stiegeler-Straße in Kattenturm finden, sie haben genug soziale Probleme im Stadtteil und wollen nicht auch noch Alkoholkranke der AWO neben ihren schönen Reihenhäusern

Der Versammlungsraum im Gemeinschaftszentrum Obervieland war brechend voll Wut. An die 150 Anwohner saßen da – vorne gegenüber die Vertreter der Stadt, der neue Ortsamtsleiter Ingo Funck (SPD), Arbeiterwohlfahrt und Gewoba. Es ging um „Alkoholkranke, die abgebaut sind“, sagt die Frau vom Stadtplanungsamt. Für vier betreute „Wohngemeinschaften“ soll gebaut werden zwischen den Einfamilienhäuschen Kattenturms.

Warum? Warum gerade da? Die Gewoba hat da ein kleines Grundstück, das sie seit Jahrzehnten nicht verwerten konnte. Die Sozialpolitiker der Stadt wollen die hilfsbedürftigen Menschen, die derzeit oft im niedersächsischen Umland untergebracht sind, nach Bremen zurückholen. Und die AWO ist beauftragt, für die „gemeindenahe“ Betreuung zu sorgen. Eigentlich ist alles klar. Die Baudeputation hat im Juni einstimmig die „Planaufstellung“ beschlossen.

Und die direkten Nachbarn? Alles sei „in tockenen Tüchern“, erfuhr einer der Nachbarn vom AWO-Geschäftsführer Burkhard Schiller, als er sich im Januar erkundigte, was geplant sei.

Am 1. August fand nun die nach § 3 Baugesetzbuch vorgeschriebene „frühzeitige Beteiligung der Bürger“ statt, erklärte Dorothea Ahlers vom Stadtplanungsamt. Allein das brachte die Anwohner auf die Palme. Frühzeitig? Per Zufall hatten sie vom Vorhaben erfahren. Und überhaupt: Was heißt Beteiligung? „Alle Ihre Anregungen, Einwände und Bedenken werden schriftlich festgehalten“, erklärte der Ortsamtsleiter. „Wir wollen kein Mitspracherecht, wir wollen, dass dieses Gebäude überhaupt nicht entsteht“, schallte es ihm entgegen. Die Anwohner wollen sich nicht auch noch die umständlichen Erläuterungen der Gewoba anhören, wo die „Baumkulisse“ und wo die therapeutischen Gemeinschaftsräume entstehen sollen. Nach einer halben Stunde nehmen sie sich das Mikrofon. Der Ortsamtsleiter guckt verdattert und kanzelt eine Anwohnerin ab: „Fragen werden jetzt nicht zugelassen. Sonst verlassen Sie den Saal.“

Ein „fiskalischer Zwang“ steckt hinter der Rückholung der Bremer, kann AWO-Geschäftsführer Schiller erläutern. Und ein „menschlicher Zwang“, die 60 Alkoholkranken seien „nur zwischengeparkt in Bruchhausen-Vilsen“. Alle seien „Gewinner“: Der Finanzsenator gewinne im Länderfinanzausgleich, Bremen gewinne an sozialer Infrastruktur. Die Anwohner müssten sich keine Sorgen machen – die Betroffenen zeichneten sich „durch einen hohen Grad an Unauffälligkeit und Normalität“ aus. Zudem würden für die 20 Menschen von zehn Kräften der AWO rund um die Uhr betreut.

Der hohe Betreuungsschlüssel macht die Anwohner aber eher misstrauisch. Und vor allem glauben sie der AWO kein Wort, weil sie vor 20 Jahren auf demselben Fleck Gewoba-Erde jahrelang Krach mit der AWO wegen einer „Jugendhütte“ hatten.

„Wer sagt mir, das in zwei Jahren nicht doch ein Junkie da steht und meine Tocher sich das angucken muss“, kontert eine Frau mit Kleinkind auf dem Arm. „Ich haben den Eindruck, dass meine Tochter Schaden nehmen wird, wenn sie sich demenzkranke Leute angucken muss.“

„Ihre Anregungen werden hier gesammelt und abgewogen“, versichert die Mitarbeiterin des Stadtplanungsamtes, „dort werden weiter Bedenkenträger-Argumente gesammelt“. Am Ende müsse „abgewogen werden“, und „letztlich entscheidet die Politik“. Eine alte Dame steht auf und zeigt mit dem Finger nach vorn: „Da sitzt die Politik. Und hier sitzt das Volk.“

Klaus Wolschner