fundgrube
: Von der Ironie der Moderne

Die Erfindung des „Klassikers“

Als Leseplatz ist die berühmte Liege von Le Corbusier ungeeignet, da Armlehnen zum Abstützen fehlen, und als Fernsehsessel war sie wohl kaum beabsichtigt. Wie konnte das schwungvolle Möbel aus den Zeiten der gehobenen Gesprächskultur zu einem „Modernen Klassiker“ werden? Der Frage nach dem „Werden“ solcher Ikonen des Designs geht Gerda Breuer in ihrem Buch über die Genese des „Modernen Klassikers“ nach.

„Die Erfindung des Klassikers dient dazu, eine Konvention aufzustellen, eine Verabredung über den Status von Bildern, Objekten und Texten“, stellt Breuer fest und erklärt damit, warum wir immerfort von den gleichen Stühlen umgeben sind: Dem Wassili und diversen LCs, dem Zigzag und dem Barcelona Chair, deren Namen uns so geläufig von den Lippen gehen, als seien sie die einzigen Verkörperungen einer Sitzgelegenheit.

Was in der Absicht durchaus korrekt wäre, denn die Moderne war vom Gebot einer absoluten Material- und Funktionsgerechtigkeit ausgegangen. Die Erfüllung des Anspruchs trat bereits in den 1960er-Jahren gegenüber dem kommunikativen Aspekt zurück, der die Grundlage für die Wiederkehr des Designs der Moderne bildete. Denn ein „Revival beschränkt sich nicht auf die Vorliebe für ein ästhetisches Erscheinungsbild“, erläutert Breuer, „sondern ist Kostümierung für einen Lebensstil, der Kompensationsfunktion für den eigenen Lebenszusammenhang hat.“

Anhand des Möbelhauses Vitra wird eine mediale, pluralistisch ausgerichtete Corporate Culture exemplarisch dargestellt, die auf die Assoziation mit den berühmten Architekten ihres Firmensitzes setzt und den Prozess der Musealisierung nach allen Kräften vorantreibt.

„Affinität und Nachbarschaft – der Synergieeffekt der Stars“, betitelt Breuer Vitras affirmative Anzeigenkampagne mit Künstlern und Schauspielern, die ihr persönliches Image auf ein Möbelstück transferieren. Dieses wird somit ein Identifikationsobjekt, dessen Nimbus auf den Verbraucher übergehen soll. Breuers Rezeptionsgeschichte liefert in konziser Form Erkenntnisse über die Wirkungsweise eines Marktes, der mit Images handelt.

Der Popularität der Klassiker wie auch Le Corbusiers Liege, das ist die Pointe der Geschichte, liegt weder in ihrer Form noch in ihrer Funktionalität begründet, sondern darin, dass – zur Legende gewordene – Möbelstücke synonym mit Fortschritt und Avantgarde gesetzt werden und aufgrund einer plagiierenden Industrie preiswert erhältlich sind. Ironischerweise beweist die ungebrochene Aktualität ihrer eigenen Produkte das Scheitern des Anspruchs der Modernen Gestalter, dem Zeitwillen zu dienen. MIKAS

Gerda Breuer: „Die Erfindung des Modernen Klassikers. Avantgarde und ewige Aktualität“. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2001, 39,80 €