Die Rückkehr der Stimmenfänger

Alle kommen, und alle wollen nur das Eine. Sieben Wochen vor der Bundestagswahl beginnt im Norden die heiße Phase. Für Hamburg ist es schon der zweite Wahlkampf binnen eines Jahres, und wieder ist es eine Schlacht der Lager

von SVEN-MICHAEL VEIT

Rezzo Schlauch verspätet sich. Eigentlich wollte der Chef der grünen Bundestagsfraktion heute Mittag an der Sternschanze Döner verkaufen, um „für die ökologische und soziale Modernisierung unseres Landes“ zu werben. Nun muss er erst noch rasch in Berlin erklären, wie das denn so kam mit seinem österlichen Bonusmeilen-Trip nach Bangkok, bevor er in die Hansestadt kommt. Und so muss sich der Schwabe, der gern mal „ein Viertele schlotzt“, auf die „Politische Weinprobe“ mit programmatischen Sätzen am Abend im Allee-Theater in der Max-Brauer-Allee 76 beschränken.

Noch fast sieben Wochen sind es bis zur Bundestags-Wahl am 22. September. Doch wegen der schwachen Umfragewerte für die rot-grüne Bundesregierung und vor allem für die SPD wird die Schlacht der beiden politischen Lager um Stimmen deutlich vorgezogen. Die heiße Phase beginnt auch im Norden bereits jetzt, knapp zwei Wochen vor dem Ende der Sommerferien in Hamburg und Schleswig-Holstein. Um „den Kampfgeist der Roten zu demonstrieren“, traten am Wochenende denn auch die elf SPD-Direktkandidaten in Schleswig-Holstein bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg auf. Ungeachtet der Tatsache, dass dort „Das Tal des Todes“ aufgeführt wird.

Denn die neuen Schlagworte beim Buhlen um Wählers Gunst lauten Action, Fun und Events. Rein in die große Halle, Rede abspulen und wieder weg sei passé, behaupten die Strategen, der „moderne“ Wahlkampf müsse auf „mediale Präsenz“ und das „Zugehen auf die Menschen“ setzen.

Nach diesem Rezept köchelt vor allem die freidemokratische Spaßpartei: Chef Westerwelle fährt mit seinem blaugelben „Guidomobil“ bereits nächsten Sonnabend bis auf den Gerhart-Hauptmann-Platz, Jürgen Möllemann wird im Norden per Fallschirm jedes erreichbare Fettnäpfchen zu treffen versuchen.

Selbst Edmund Stoiber, der Möchtegern-Kanzler der Union, nahm auf seiner Sommertournee vor zwölf Tagen auch in Hamburg das Bad in der Menge (taz berichtete) und will dies am 5. September auf dem Gänsemarkt erneut suchen. Genauso wie CDU-Parteichefin Angela Merkel, die schon am 19. August auf dem Alsteranleger auftritt, und auch der Ewige Kanzler i.R. Helmut Kohl gilt der CDU wieder als leidlich salonfähig: Zumindest darf er am 25. August ins „Bayernzelt“ auf dem Dom.

Bei SPD und Grünen herrscht verständlicherweise kein Mangel an Ministerprominenz. Fast das gesamte Bundeskabinett sucht in den nächsten Wochen den Norden heim, Bundeskanzler Gerhard Schröder allein drei Mal: Am 30. August Kiel, am 10. September Lübeck und am 31. August den Platz der Republik in Altona. Den Gänsemarkt hat sich der grüne Star Joschka Fischer für den 13. September reservieren lassen; bereits am 26. und 27. August tourt er im Wahlkampfbus durch sieben Städte in Schleswig-Holstein. Noch etwas ungewiss ist hingegen, wie die PDS ohne Gregor Gysi und ob die Schill-Partei überhaupt Wahlkampf machen will.

Hinzu kommen noch hunderte Veranstaltungen lokaler Polit-Prominenz aller Parteien, die in der Hansestadt nach der Bürgerschaftswahl vom 23. September 2001 bereits zum zweiten Mal binnen Jahresfrist auf Stimmenfang gehen muss. Wobei die CDU erstmals einen Vorteil hat, den jahrzehntelang die SPD genoss: Auftritte ihres Bürgermeisters Ole von Beust können oftmals als repräsentative Aufgaben des Regierungschefs getarnt werden. Weshalb es mit einem Wahlkampf aus Fun, Events und medialer Präsenz auch nichts zu tun hat, wenn von Beust fünf Tage vor dem Urnengang ein deutsch-chinesisches Standort-Festival im Rathaus eröffnen wird.

China-Wochen – jetzt nicht nur bei McDonalds.