Der Vater des Weltrekords

Als Jugendschwimmerin hat Norbert Warnatzsch Franziska van Almsick noch betreut. Dann trennten sich die Wege der beiden. Für die Europameisterschaften in Berlin klopfte van Almsick wieder bei ihm an. Und er steckte sie zum Training ins Männerteam

von MARTIN KRAUSS

Am Samstagnachmittag stand ein 55-jähriger Mann mit Glatze, kurzer schwarzer Hose und schwarzem T-Shirt am Beckenrand und sah sichtlich zufrieden aus. Norbert Warnatzsch, der Trainer von Franziska van Almsick, schaute sich an, wie seine Sportlerin gerade ihren Weltrekord über 200 Meter Freistil (1:56,64 Minuten) bejubelte. Als sie ihn endlich erblickte, umarmte sie ihn auch. „Der Trainer hat scheinbar etwas in mir geweckt“, hatte Almsick schon vorher erzählt, „das in den letzten Jahren in mir geschlummert hatte.“ Sieben Jahre war sie ohne großen Titel geblieben, ihren eigenen acht Jahre alten Weltrekord hat sie nun endlich pulverisiert, und das verdankt van Almsick ihrem Trainer, mit dem sie eine Geschichte verbindet, die länger dauert als die gerade mal einjährige Zusammenarbeit, die nun zum Weltrekord führte.

Als die Mauer fiel, 1989, sprach sich in Westberliner Schwimmerkreisen schnell herum, dass sich drüben eine talentierte Schwimmerin rumtreibe. Geburtsjahrgang 1978, Name Franziska van Almsick, Verein SC Dynamo Berlin. Von ihrem Trainer erfuhr man damals wenig. Norbert Warnatzsch war bei Dynamo, dem Stasi-Verein, als Nachwuchstrainer angestellt, und als sich sein Talent 1991 anschickte, in die Weltspitze vorzurücken, gab er es auch nach oben ab.

Das DDR-Sportsystem zerfiel, aus dem Talent wurde das gesamtdeutsche Symbol „Franzi“. Mit Warnatzsch hatte das aber nichts mehr zu tun. Er betreute gerade die indonesische Nationalmannschaft. Zurück in Berlin, wollte ihn 1992 die SG Neukölln, damals eher Nummer drei oder vier in der Hierarchie der Berliner Schwimmvereine, als Cheftrainer. Sein Ruf, der Almsick-Entdecker zu sein, half. Und belastet war er kaum, ein Doping-Verfahren gegen ihn wurde wegen „geringer Schuld“ eingestellt. Warnatzsch sah in Neukölln, dass er nicht einen Erfolgsbetrieb übernahm, gebaut nach den Strukturen des DDR-Sports, sondern dass er viel Aufbauarbeit zu leisten hatte. Nicht nur um Spitzensportstrukturen, sondern auch ums Kinder- und Anfängerschwimmen kümmerte er sich, stellte Kontakte zur Walter-Gropius-Schule und zum Projekt „Jugend gegen Gewalt“ her. Im vorigen Jahr verlieh ihm die Deutsche Schwimmjugend „Die Blaue Welle“ einen Förderpreis für Nachwuchsarbeit.

Die Aufbauarbeit hatte Erfolg. Der SG Neukölln gelang im Jahr 2000 der Aufstieg in die erste Bundesliga und ein Jahr drauf der deutsche Mannschaftsmeistertitel sowohl der Männer als auch der Frauen.

Mit seinem immer besseren Ruf kehrte 2001 auch Warnatzschs einstiges Talent zurück. Franziska van Almsick war mit dem Modell Profischwimmerin plus Privattrainer nicht zurechtgekommen. Er tüftelte einen Plan aus und fragte sie: „Willst du das?“ Sie sagte Ja. In der Männermannschaft mit zu trainieren ergab synergetische Effekte: Fünf Schwimmer brachte Warnatzsch, mittlerweile 55-jährig, nun zu Europameistertiteln. Und Franzi den neuen Weltrekord. Ohne Koketterie sagt er: „Ich brauche sie nicht, um mich zu profilieren, und umgekehrt ist es dasselbe.“

Sympathie und Erfolg, begründet auf Unabhängigkeit – van Almsick drückt diesen Gedanken so aus: „Ich fühle mich gut, wenn er in meiner Nähe ist. Ich habe ein gutes Umfeld, und deshalb schwimme ich so schnell.“