Winzer und Würstl

Iphofen contra Sulzbach. Ein Städtefestvergleich in Unterfranken und in der Oberpfalz

Man wird überschüttet mit wertvollen Details des örtlichen Geschlechtslebens

Es mag der historischen Wahrheit nahe kommen, dass Kurt Tucholsky das östlich von Kitzingen und sogar Würzburg gelegene unterfränkische Winzerstädtchen Iphofen recht schätzte. Zumindest versichert mir der Iphofener Erotikpapst Helmut Nördbart anlässlich meines Besuches des jährlichen Iphofener Winzerfestes, Tucholsky habe im alten „Gasthaus Krone“ am charmanten barocken Marktplatz allzu gern die erstklassige Julius-Echter-Berg-Auslese (Rieslaner und Scheurebe gemischt) eingeflötet und dabei schmerzlich bedauert, „dass man einen Wein nicht streicheln kann“.

Einen Tag später erklimme ich den etwa 120 Kilometer östlich in der mittleren Oberpfalz herumstehenden Sulzbach-Rosenberger Wallfahrts-Annaberg, auf dem Ende Juli das nicht minder legendäre Annaberg-Bier- und Würstlfest stattfindet, unter zarten Glockenklängen und einem Himmel, der die Bier- und Burgenstraße überwölbt wie hingestrichen von Gottes gütiger Hand. „Das nennen wir hier einen Locus amoenus“, erläutert der Amberger Maître de Plaisir Dr. Mimbach. „Von der Maxhütte wollen wir mal absehen, aber sonst ist doch anything okay hier, oder?“

Helmut Nördbart war keine 24 Stunden zuvor ähnlich auskunftsfreudig gewesen. „Einen Kaffee trinken wir hier nicht“, weist er mich auf meinem harten Holzbankplatz ein, „des sann Amikrämpf’!“ Das Rathaus aus dem Hoch- bzw. „Topbarock“ im Rücken und vom klassischen Iphofener Dauerregen wunderbar erquickt, überschüttet er mich mit wertvollen Details des Iphofener Gesellschafts- und Geschlechtslebens. „Die musst ordentlich beschimpfen!“, erklärt er (bei-)läufig, als er zwei weibliche Bedienungen in Winzertracht verbal kräftig anpackt. „Des wolln’s a so.“ – „Auf die Zukunft des Abends!“, hebt er die geölte Stimme und lobt die Sitten des ältesten fränkischen Winzerfestes. „Anders als bei dene anderen Scheißfeste hat’s hier aan Zug im Feiern und im späteren … verstehst scho’.“

Zwischen Sulzbach-Rosenberg und Amberg hat’s bloß ein Dorf namens Poppenricht. Etwas südwestlicher, Richtung Ursensollen, duckt sich das Kapellchen Maria Schnee weißscheu ins Gras, bewacht von einem hundertjährigen Aufsichtsweiblein. Von dort, vorbei an Schwenderöd und via Pesensricht, erreichen wir Fürnried, das in einer der weichen Senken des Birglandes schlummert, als sei nie ein 20. Jahrhundert gewesen. Die Sonne scheint. „Die Burgruine Lichtenegg“, sagt Dr. Mimbach, „ist aber noch gefälliger als fantastico loco Fürnried.“ Er hat Recht. Schamlos schön zerfließt das kleine Berggebiet vor unseren Augen. Eine Luft weht. Es sind Vögel zu hören.

In Iphofen versuche ich, ein Bier zu erwerben. Ich löse mich von der Tischgesellschaft, und Nördbart gibt mir den Tipp mit auf den Weg: „Wichtig ist, du darfst immer nur mit einem Finger grüßen. Des is’ einfach lässig.“

Lässig verlachen mich 20 verschiedene Wirte, die ich erhobenen Zeigefingers grüße und um ein Bier bitte. „Sind Sie bescheuert? Wir sind hier auf einem Weinfest!“ Die Großlangheimer Musikanten sorgen für „lustige“ Stimmung, der Marktplatz birst vor fetzig gesonnener Jugend, die schwüle Luft steht sich die Beine in den Bauch. „It’s wonderful, hier to sein auf the Weinfest!“, jubiliert der Sänger auf der Popbühne. Ein dahergelaufener Bursche tröstet mich und überreicht mir einen Flyer: „Nächste Woche: Woodstock in Franken! Mit Ochsenfurter Bier!“

„Wir liegen voll im Aufschwung hier“, grinst der rotwangige Wirt der „Fichtelbrunner Brauerei“. „Seit 1995 brauen wir nicht mehr.“ Schade, denke ich, und Dr. Mimbach, der einen Bauernseufzer, eine Art dunkel geräucherte Mettwurst, zernagt, zagt ebenso.

Zurück nach Sulzbach braucht’s nur ein paar Autokilometer. Hier residiert die „Sperber Bräu“, in deren Ausschank die Theologie große Fortschritte macht. „Der eine moag halt a Religion, der andere aan Backsteinkaas“, verkündet die Stammgastkanzel, und während der Fuchsbeck zusperrt, offeriert der Kreuzerwirt in einer Stiftungskirche aus dem 14. Jahrhundert das gewaltigste kalte Büfett Bayerns, inkl. unbezwingbaren Presssäcken. „An die Hirnwurst aus Zunzendorf kommt’s nicht heran“, gesteht Dr. Mimbach kauend, das gebräunte Gesicht lacht gastlich, „aber sonst geht hier alles voran. Früher gab’s keine einzige ansehnliche Sulzbacherin, heute rennen die in Tausenderschar umeinander.“

In Iphofen darf die Satyre der zu Status-quo-Nummern wackelnden Weiberärsche und standhaft hinterdreinzuckelnden Keilerkerle nicht enden. Aus den mitgebrachten Gläsern wird die Luft rausgelassen und der „fröhliche Winzerabend“ durch das symbolische Köpfen einer Flasche Kristallweizen gekrönt. Hurrarufe. Herrlich.

Angesichts all dieser Eventtatsachen fällt das vorläufige Ergebnis unserer Erkundung eindeutig aus: Iphofen – Oberpfalz: 14 zu 2 minus.

Wir ermitteln gleichwohl weiter. Demnächst mehr aus der Diskothek „Happy Rock“ in Kötzersricht. JÜRGEN ROTH