Kanzler + Hartz + Irak

Die SPD ändert ihre Wahlkampfstrategie. Viel zu bieten bis zum 22. September hat sie nicht mehr

von JENS KÖNIG

Im Wahlkampf werden heute Sprüche hoch- und runtergebetet, an die morgen schon keiner mehr erinnert werden möchte. „Es kommt nicht darauf an, wer zuerst losrennt, sondern darauf, wer zuerst ans Ziel kommt.“ Das ist so einer dieser Sätze. Gerhard Schröder hat ihn in den vergangenen Wochen auf jeder noch so kleinen SPD-Veranstaltung zum Besten gegeben. Selbstbewusstsein wollte der Kanzler damit demonstrieren: Die SPD regiert, Wahlkampf machen wir später, da kann der Stoiber in den Umfragen so gut liegen, wie er will.

Diesen Satz hört man von Schröder jetzt nicht mehr. Generalsekretär Franz Müntefering behauptet zwar, das mit dem Losrennen und Ankommen gelte immer noch, aber er fügt kleinlaut hinzu: „Man darf den anderen nicht zu weit weglassen.“

Das ist in der Tat eine gute Erkenntnis, und man weiß schon gar nicht mehr, wie man es bewerten soll, dass sie inzwischen auch bei der SPD angekommen ist. Seit Monaten liegt die Union in den Meinungsumfragen weit vor der SPD, aber die Sozialdemokraten taten immer so, als ginge sie das gar nichts an. Bis zur Sommerpause haben wir den Anschluss an Stoiber geschafft, hieß es bei ihnen, die restlichen 2, 3 Prozent holt der Kanzler in den letzten vier Wochen des Wahlkampfs. Jetzt ist die Sommerpause fast vorbei, Fußball-WM und Hartz-Kommission haben der SPD ein Zwischenhoch verpasst, aber inzwischen sind Telekom-Chef Ron Sommer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping entlassen, die Börsen drehen weiter durch, die Arbeitslosenzahlen sinken nicht, außerdem wird die Republik von einer absurden Flugmeilenaffäre durchgeschüttelt – und die SPD liegt, wie gehabt, 6 bis 7 Prozent hinter CDU/CSU.

Plötzlich bricht in der Kanzlerpartei Hektik aus. Alle Zeitpläne werden über den Haufen geschmissen. Die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt bereits am heutigen Montag mit einer großen Kundgebung in Hannover – drei Wochen früher als ursprünglich vorgesehen. Die Strategie für den Wahlkampf hat das SPD-Präsidium auf einer Sondersitzung am vergangenen Donnerstag beschlossen.

Das alles soll Einsicht in den Ernst der Lage und Aufbruch signalisieren. „Wir legen einen Zwischenspurt ein, der ansatzlos in den Schlussspurt übergeht“, sagt Müntefering. Mal abgesehen davon, dass diese Formel nicht ganz den Erkenntnissen der Sportmethodik entspricht – der sozialdemokratische Endspurt macht nur Wind, mehr nicht. Neue Themen? Neue Strategie? Neue Personen? Neuer Umgang mit Stoiber? Fehlanzeige.

Was die SPD-Spitze vorige Woche beschlossen hat, geht nicht über das hinaus, was sie seit Anfang Mai mit der Formel vom „personalisierten Richtungswahlkampf“ beschreibt. Und nicht mal das hat die Wähler bisher begeistert. Das wird nicht einfacher dadurch, dass die SPD-Führung ihre Strategie ab heute in zwei neuen Botschaften verkauft. Die erste lautet: „Wir gehen unseren deutschen Weg.“ Hinter dieser geografisch etwas überraschenden Formulierung verbirgt sich der soziale Anspruch der SPD: Verteidigung des deutschen Sozialstaatsmodells gegen das unsoziale Programm von Stoiber und Westerwelle, Weiterführung des Aufbaus Ost, Integration Europas und Wahrung der internationalen Stabilität. Die zweite Botschaft heißt schlicht: „Stoiber ist falsch. Schröder ist der richtige Kanzler.“

Praktische Umsetzung findet diese Strategie wohl nur noch in zwei Punkten. Auf sie konzentrieren sich, neben dem Kanzler, alle Hoffnungen der SPD: Irak und die Umsetzung der Hartz-Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarkts. Seit ein paar Tagen redet Schröder betont oft von der Gefahr eines Kriegs im Nahen Osten und warnt vor einem militärischen Einsatz im Irak. Das ist Überzeugung, aber dahinter steckt auch Kalkül. Schröder will sich – in Abgrenzumg zum Duo „Stoiber/Möllemann“, wie das Müntefering gern nennt – als der Kanzler präsentieren, der dank seiner internationalen Erfahrung als Einziger in der Lage ist, Deutschland aus einem Irak-Abenteuer herauszuhalten.

Die SPD hofft, dass das hilft. Aber dass sie damit am 22. September nicht gewinnt, weiß sie selbst. Im Mittelpunkt ihres Wahlkampfs wird die Reform des Sozialstaats stehen. Und was sie dabei in den vergangen vier Jahren versäumt hat, soll jetzt die Hartz-Kommision retten. Am 16. August präsentiert sie ihre Vorschläge, bereits fünf Tage später will die Regierung dazu einen Beschluss fassen, Anfang September soll das Gesetz in den Bundestag. Was genau die SPD von Hartz übernehmen will, weiß sie noch nicht. Aber sie glaubt sicher zu wissen, was Stoiber will: auf jeden Fall weniger als die SPD.